Austria-Forum: ein interessantes Experiment

Seit voriger Woche bin ich als "Spezialist" für Pädagogik offizielles Mitglied des Editorial Boards des Austria-Forums. Das Austria-Forum ist ein Projekt des gemeinnützigen Vereins „Freunde des Austria Forums“ und zielt ab auf ein Wissensnetz und Informationsportal mit vorwiegend Österreichbezug. Für mich ist aber nicht nur dieser inhaltliche Bezug wichtig, sondern ich sehe darin auch ein bildungstechnologisches Experiment.

Austria-Forum: Startseite
Startseite von Austria-Forum.org

Über meinen Kollegen und Freund Hermann Maurer bin ich nun seit voriger Woche als Mitglied für das Editorial Board des Austria-Forums "angeworben" worden  ;-). Im Zuge einer Promotionstour, bei der Hermann auch unseren Rektor besuchte um die Donau-Universität als offiziellen Partner zu gewinnen, hat er mir die Ziele des Projekts in einem ausführlichen persönlichen Gespräch näher gebracht.

Das AEIOU Austria-ForumAustria-Forum ist eine umfassende digitale Sammlung von Austriaca, das sind multimediale Objekte, die Österreich im weitesten Sinn betreffen oder berühren. Anders formuliert, das Austria-Forum ist ein Nachschlagewerk mit starkem Schwerpunkt Österreich, behandelt aber auch andere Themen, die zur Allgemeinbildung gehören.

Für mich v.a. ein bildungstechnologisches Experiment

Austria-Forum–Web-Books Beispiel
Eine Ansicht aus Web-Books

Der Bereich "Pädagogik" an dem ich mitwirken soll ist natürlich mit meinem Fachgebiet Bildungswissenschaften eng verknüpft. Allerdings ist dies gar nicht der eigentliche Punkt, warum ich mich für eine ehrenamtliche Mitarbeit entschieden habe. Mir geht es vor allem darum, dass ich im Austria-Forum mit einigen interessanten technischen Aspekten experimentieren kann. Das halte ich für die sich herausbildende Praxis der Internet-Nutzung aber auch für die Evaluierung bildungsrelevanter Funktionen wichtig. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen:

  1. Die Darstellung der Bücher im Bereich Web-Books finde ich einfach großartig. Sehen Sie sich beispielsweise eine beliebige Seite des Bildbandes "Altösterreich – Menschen Länder und Völker in der Habsburmonarchie" von Hans Petschar an (z.B. hier) und experimentieren Sie mit den verschiedenen Betrachtungswerkzeugen (z.B. auf das Bild klicken).
  2. FrakturschriftBesonders interessant ist es, dass von einem Artikel direkt auf die betreffende Seite im jeweiligen Buch verlinkt werden kann. Dies ist möglich, weil Texterkennung mittels OCR aller Texte realisiert wurde. Dies trifft sogar auf Frakturschrift zu, die ja bekanntermaßen eine extreme Herausforderung für automatische Texterkennung darstellt.
  3. Ein doppelter Mausklick auf jedes beliebige Wort in einem Artikel (also nicht etwa nur besonders dafür vorgesehene Textstellen) resultiert in einer Schnellsuche und öffnet die Suchmaschine für differenziertere Suchanfragen. (Siehe z.B. meine Volltext-Suche nach Musikerziehung). [Bei dieser Gelegenheit bin ich übrigens draufgekommen, dass Österreich zwei (!) Friedensnobelpreisträger hat. Nicht nur die allseits bekannte – weil auf den früheren 1000 ATS-Geldscheinen aufgedruckt 😉 – Bertha von Suttner sondern auch Alfred Fried.)

Viele der Features, wie z.B. das Hochladen von Bildern für Präsentationen (siehe z.B. Tierbilder von Danninger) habe ich bisher noch gar nicht realisiert. Eine entsprechende persönliche und mehr systematische Entdeckungsreise steht noch aus…

Austria-Forum: Einfrieren und Verifizieren

Ein weiterer wesentliche Änderung gegenüber dem traditionellen Wiki-Konzept ist die Idee der Verifizierung. Nach Hermann Maurer ist dies vor allem deshalb notwendig, um – gemeinsam mit dem "Einfrieren" (=Archivieren) von Beiträgen – zitierfähige Webseiten zu bekommen.

Ehrlich gesagt verstehe ich diese Begründung nicht ganz: Auch Wikipedia-Seiten sind zitierfähig, weil ja die permanente URL einer Webseite angegeben werden kann und dann der jeweilige Inhalt – unabhängig von späteren Änderungen – besteht bleibt. (Folgen Sie z.B. diesen permanenten Link auf das Austria-Forum in der Wikipedia: Der Text dieser URL bleibt von späteren Änderungen unberührt.) Ich kann sogar verschiedene Versionen zitieren und sie in einem Artikel miteinander vergleichen. Dass es keine eigentlichen AutorInnen gibt, ist für die Zitierfähigkeit ja auch kein Problem: Schließlich gibt es auch Bücher ohne AutorInnen, die dann als "Anonymus" zitiert werden.

Viel wichtiger scheint mir der Gedanke der Verifizierung durch ausgewiesene ExpertInnen zu sein. Ich habe bereits 2008 in Googles Knol versus Wikipedia darüber geschrieben. Meine Argumente damals war, dass innerhalb der Wikipedia der dabei verlangte neutrale Standpunkt (NPOV = neutral point of view) ein differenziertes Ausarbeiten eigener Standpunkte – wozu immer auch eine kritische, z.T. komplexe Diskussion notwendig ist – verhindert. Ich hatte dies auch noch kommunikationstheoretisch durch die Idee der Geltungsansprüche bei Habermas unterlegt. Meine Hoffnung, dass eine solche inhaltliche Differenzierung im kritischen Diskurs durch den Google-Dienst verwirklichen lässt, ist ja inzwischen durch Praxis  schlagend widerlegt worden.  Knol  ist am 1. Mai 2012 eingestellt worden!

Allerdings glaube ich nicht, dass das Scheitern von Knol einen vernichtender Beweis gegen meine Argumentation darstellt. Einerseits ist ein Lexikon dafür wenig geeignet. Es sollen dabei ja in erster Linie allgemein gültige Sachverhalte dargestellt werden und nicht über gewissen noch offene bzw. noch unter legitimer Kritik stehende Details diskutiert werden. Andererseits hat selbst bei hinterfragbaren Argumenten der extrem hohe ExpertInnen-Status bei Google Knol eine entsprechende kritische Diskussion des informierten Publikums schwer gemacht.

Mitwirkung an einem dynamischen, offenen Projekt

Von der grundsätzlichen lexikalischen Konzeption her, kann das Austria-Forum derzeit natürlich auch (noch?) nicht meine entsprechenden Überlegungen realisieren. Aber was noch nicht ist, kann vielleicht werden?! Es gibt da einige Punkte, die mich optimistisch stimmen:

  • Es ist aus meiner Sicht noch nicht ganz klar, wohin sich das Austria-Forum inhaltlich noch entwickeln wird. Hermann hat mir erzählt, dass zwar natürlich weiterhin der Schwerpunkt Österreich darstellt, dass aber von Partnern (z.B. dem Ministerium) durchaus eine breitere inhaltliche Palette gewünscht wird. Die Idee ist, dass alles, was einen Österreichbezug hat bzw. was direkt oder indirekte Auswirkungen auf Österreich hat im Austria-Forum erfasst werden soll.Diese Formulierung ist jetzt aus meiner Erinnerung aus dem damaligen Gespräch entstanden. Im Text heißt es: "Das Austria-Forum ist eine von unabhängigen Wissenschaftern und Publizisten gestaltete und der Allgemeinheit zur Verfügung gestellte allgemeine Wissens- und Diskussionsplattform mit Schwerpunkt Österreich. Das Austria-Forum ist eine Wissensammlung, die regional und zeitlich in die Tiefe geht und verschiedene Ansichten zum selben Thema zulässt. " (Hervorhebungen durch mich). – Das sind für mich interessante Anknüpfungspunkte. Im Augenblick sehe ich allerdings noch nicht ganz, wie und wo diese Punkte realisiert bzw. vorgesehen sind. Das kann aber auch mit meiner (noch) fehlenden detaillierten inhaltlichen Auseinandersetzung zusammenhängen.
  • Der von Austria-Forum propagierten Ansatz entsprechende (Start-)Seiten von der Wikipedia zu übernehmen und sie dann für eine Verifizierung (bloß) entsprechend anzupassen, spricht vorerst einmal gegen ein unnahbares ExpertInnentum und öffnet in der Zukunft vielleicht Chancen für eine engagierte Diskussion.
  • Es gibt einige Community-Funktionen im Austria-Forum, die vielleicht ebenfalls eine anderen Verlauf bezüglich Diskussionen als es in Google Knol der Fall war, ermöglichen.  So sehe ich z.B. berechtigter Redakteur wer gerade online ist und wer, welche Artikel bearbeitet.
  • Die immer noch sehr starke Verbindung mit dem Initiator, Gründer, Hauptherausgeber, Akquisiteur, Organisator, Vertriebschef, Ideengeber, technischen Innovator,… Hermann Maurer und die vielleicht mit einigem Aufwand noch überschaubare Größe machen es zusammen genommen vielleicht auch leichter nicht nur strategische Ideen einzubringen, sondern sie auch umzusetzen.

Die angeführten Punkte zeigen, dass das Austria-Forum ein Projekt ist, dass noch einem gewissen ständigen Wandel unterworfen ist. Ich muss allerdings zugeben, dass dies meiner Einschätzung nach auch noch – mit gewissen Abstrichen – in der Wikipedia der Fall ist (Siehe z.B. meinen Bericht von der WikiCon 2012.)  Allerdings hat mir bisher Zeit und Kraft gefehlt um mich für solche Änderungen auch persönlich und langfristig einzusetzen. Ich bin daher skeptisch inwieweit meine (weihnachtlichen) Vorsätze hier greifen. Aber schließlich und endlich muss ich mir auch schon ein paar Tätigkeitsfelder für meine langsam in Sicht kommende Pensionierung überlegen!  🙄

 

Von Peter Baumgartner

Seit mehr als 30 Jahren treiben mich die Themen eLearning/Blended Learning und (Hochschul)-Didaktik um. Als Universitätsprofessor hat sich dieses Interesse in 13 Bücher, knapp über 200 Artikel und 20 betreuten Dissertationen niedergeschlagen. Jetzt in der Pension beschäftige ich mich zunehmend auch mit Open Science und Data Science Education.

4 Antworten auf „Austria-Forum: ein interessantes Experiment“

Zitieren kann man alles. Auch mündliche Aussagen. Als Basis für wissenschaftliches Arbeiten ist aber das Wissen, wer hinter einem Beitrag steht, notwendig. Wenn irgendwo steht „Getrocknete Blätter der Herbstzeitlose sind für ein Lungenkarzinom das beste Heilmittel“ dann muss ich wissen, ob das von einem anerkannten Onkologen stammt oder ob es der Scherz eines pubertierenden Teenagers ist. Darum benötigt man die Verifizierung durch ExpertInnen, darum macht Wikipedia den Fehler, bei den Beiträgen nicht auszuweisen, wer sich dafür verantwortlich fühlt und was die Qualifikationen der Autorenschaft sind. Verifizieren ist einfach, siehe
http://austria-forum.org/af/Infos_zum_AF/Anleitung/Verifizierung

Warum ist es für den Gehalt einer Aussage wichtig, wer es sagt – und nicht welche Belege dafür angeführt werden? Wir verwenden doch in der Wissenschaft beim Zitieren auch nicht Titel oder Attribute wie „Nobelpreisträger“ sondern schlicht und einfach den Namen und den Verweis auf die Bibliographie, damit die komplette Stelle kritisch nachgelesen und in ihrem Sachgehalt – mit allen Belegen, für und wider etc. – kritisch geprüft werden kann.

Kommt Deine Ansicht nicht nahe eines umgedrehten „Argumentum ad hominem“: Die Aussage ist wahr (oder hat einen höheren Wahrheitswert etc.) weil es ein Fachexperte gesagt hat…

Ich bin natürlich auch der Meinung, dass eine Person hinter einem Argument stehen soll. Das ist ja mein Hauptargument in dem Weblogartikel (Geltungsansprüche á la Jürgen Habermas etc.). Aber nicht deshalb weil sich Aussagen mit Namensnennung beruhigt(er) zitieren lassen, sondern weil dann eine kritische Auseinandersetzung geführt werden kann, bzw. ein Konsens gesucht werden kann.

Lieber Peter,
ja, für mich zählt ein Aufsatz von einem Experten mehr. Wieso sollte ich einem Herz-Kreislaufspezialist bei der Beurteilung eines Herzinfarktes nicht mehr trauen als meinem
Automechaniker? Natürlich kann die Namensnennung auch zu einer wünschenswerten Diskussion führen (ist ja über Kommentare im Austria-Forum vorgesehen) aber die Namensnennung verleiht doppelt Gewicht: weil sich Autoren auch bloßstellen, wenn sie Unsinn verzapfen. Für mich eine Sensation war folgende Erfahrung, die ich mehrmals gemacht habe: Person A hat (anonym) einen Beitrag für Wikipedia verfasst. Ich fragte: „Wollen Sie das nicht mit Ihrem Namen im Austria-Forum haben?“. Die Antwort war oft nein, weil der Autor seinen eigenen Behauptungen nicht voll traute, und sich daher gerne hinter der Anonymität versteckte.
Cheers,
Hermann

Lieber Hermann,

Bezüglich Deiner Antwort auf meinen Kommentar bin ich ganz Deiner Meinung. Dass ein authentifizierter Name (inkl. CV), der mit einem Beitrag verknüpft ist, ein gewisses Qualitätskriterium ist, bestreite ich ja gar nicht. Ich habe „nur“ Einwände gegen Deinen Satz

„Als Basis für wissenschaftliches Arbeiten ist aber das Wissen, wer hinter einem Beitrag steht, notwendig.“

Ich meine, dass Namensnennung weder eine „Basis“ des wissenschaftlichen Arbeitens darstellt noch dafür „notwendig“ ist. Auch anonyme Beiträge können wertvolle und korrekte Fakten sowie stimmige, bzw. logisch korrekte Argumentationen enthalten. Umgekehrt können auch namentlich genannte berühmte ExpertInnen einen Unsinn schreiben. Vielleicht können wir uns auf folgende Formulierung einigen:

„Für wissenschaftliches Arbeiten ist das Wissen, wer hinter einem Beitrag steht, hilfreich.“

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