Kindle: Belletristik ja – Fachliteratur nein!

Ich habe bereits in einem Beitrag vor 6 Wochen über meine ersten Erfahrungen mit Kindle 2 (international Version) berichtet. Sie waren insgesamt gesehen überraschend positiv: Es war durchaus angenehm einen englischen Krimi damit zu lesen. Nun nach 6 Wochen Erfahrung sieht die Bilanz allerdings bereits weit nüchterner aus. In der Zwischenzeit habe ich eine ganze Reihe von Kritiken gesammelt.


Kritische Bewertung nach 6 Wochen Erfahrung mit Kindle

Ich habe bereits in einem Beitrag vor 6 Wochen über meine ersten Erfahrungen mit Kindle 2 (international Version) berichtet. Sie waren insgesamt gesehen überraschend positiv: Es war durchaus angenehm einen englischen Krimi damit zu lesen. Nun nach 6 Wochen Erfahrung sieht die Bilanz allerdings bereits weit nüchterner aus. In der Zwischenzeit habe ich eine ganze Reihe von Kritiken gesammelt.

Die Bedeutungen der Fotos werden im Text erklärt. Es gibt aber auch eine Zusammenstellung der Fotos mit kurzem erklärenden Text.

Meine erste – recht positive – Einschätzung gründete sich auf die Erfahrung, dass ich einen englischen Krimi mit Genuss auf dem Kindle gelesen hatte. Ich war überrascht, wie schnell sich jahrzehntelange Gewohnheiten umstellen lassen, bzw. sah im Lesen mit dem Kindle gar nicht so eine starke Veränderung.

Mit dem Fachbuch Laboratory Life von Bruno Latour und Steve Woolgar konnte ich diese angenehme Erfahrung allerdings nicht wiederholen. Dass ich mich immer noch durch das Buch quäle, hängt nicht mit dem Inhalt zusammen, den ich durchaus spannend finde. Gründe für diese negative Bewertung sind

  1. die (noch?) äußerst umständliche Bedienerführung,
  2. das (notwendige?) andere Vorgangsweise beim Durcharbeiten des Texts und
  3. die ungenügende Darstellungsqualität bei komplexen Tabellen und Grafiken.

Problem mit dem User Interface

1. Kurzbelege nicht als HyperLink ausgeführt

Ein großes Problem liegt bei meinem Testbeispiel "Laboratoy Life" darin, dass es keine adäquate Möglichkeit gibt um vom Kurzbeleg (Name Jahr) der Literaturangabe in das Literaturverzeichnis zu springen. Das ist jedoch ein Arbeitsvorgang, die für mich beim wissenschaftlichen Arbeiten mit  Fachliteratur ganz wesentlich ist. Ich möchte nicht nur den Titel der Publikation wissen, sondern auch nähere Details (Buch oder Aritkel, Online-Version? KoautorInnen, Verlag etc.). Das stellt für mich einerseits einen wesentlichen des Lernprozesses dar, weil Publikationen von AutorInnen mit zentralen Argumenten – wenn ich auf sie in verschiedenen Büchern öfters stoße – irgendwann dann einmal bestellt/aufgesucht werden. Andererseits ist es für mich als auch eine Frage der Einordnung und Glaubwürdigkeit der Argumentation zu wissen wie der Titel heißt, ob es eine Monographie oder Artikel ist und wo die Publikation erschienen ist.

Dass vom Kurzbeleg nicht in das Literaturverzeichnis und zurück gesprungen werden kann, ist vor allem deswegen erstaunlich, weil die (Kapitel-)Endnoten durchaus als HyperLink ausgeführt waren. Technisch dürfte es daher durchaus machbar sein, diese Lösung auch für das Literaturverzeichnis zu realisieren.

2. Umständliche Navigation und Arbeitsweise

Ein weiteres Navigationsproblem hängt mit der extrem mühseligen Arbeitsweise des sogenannten 5-Weg-Steuerungsknopfes zusammen. Da es keinen Touchscreen gibt muss jede einzelne Zeile und Wort durch einen entsprechenden Impuls mit dem Navigationsinstrument angesteuert werden. 15 Zeilen = 15 Impulse, wobei der Cursor sowohl von oben als auch von unten auf die Bildschirmseite geführt werden kann. Obwohl man sich auf diese Navigation recht schnell gewöhnt und es nach kurzer Übungszeit auch recht schnell geht, ist dies natürlich keine zeitgemäße Navigation mehr. Dementsprechend ist das Markieren von Text recht aufwendig.

Jede einzelne Menübefehl kann ebenfalls nicht sofort ausgeführt werden, sondern muss – nachdem das Menü aufgerufen wird – ebenfalls mit dem 5-Weg-Steuerungsknopf angefahren werden. Ein Tippfehler z.B. in einem Suchausdruck bedeutet, dass jeder einzelne Buchstabe (hier schaltet die Software von Wortsprung auf Buchstabensprung um) angefahren werden muss.

Ähnlich umständlich ist das Bearbeiten von Notizen und Markierungen. Zusätzlich zur umständlichen Navigation kommt hier noch hinzu, dass keine Umlaute vorhanden sind und Sonderzeichen (wie z.B. Komma) umständlich aus einem Menü mit dem 5-Weg-Steuerungsknopf ausgewählt werden müssen. (siehe Foto UI-Kindle-05)

Dazu kommt noch, dass eine Position im Buch nur mit relativen Zahlen angesprungen werden kann. Diese Zahlen repräsentieren – soweit ich das verstehe – allerdings die Textmenge und sind daher nicht auf Seitenangaben umzurechnen, weil Grafiken, Tabellen bzw. halbleere Seiten bei Kapitelende, Kapitelanfang oder Zitaten keine Berechnung zulassen. (Siehe Foto UI-Kindle-06: Die Punkte auf der Fortschittslinie markieren die relative Position eines neuen Kapitels.) Bezogen auf den Kindle macht dies Sinn, weil die Bildschirmseiten ja von der gewählten Format (Schriftgröße, Zeilenbreite und Zeilendurchschuss) abhängen. Es ist jedoch eine Katastrophe, dass nicht noch zusätzlich die Seitenangabe vom Print-Original (wie es z.B. beim Sony-Reader der Fall ist) eingeblendet wird. Damit geht nämlich die Zitierfähigkeit völlig verloren und der Kindle Reader ist für professionelles Arbeiten mit Fachbüchern derzeit noch untauglich! Verweise im Buchtext, die auf Seitenangaben rekurrieren sind ein weiteres Beispiel für die Untauglichkeit des Kindle-Ansatzes für Fachliteratur.

Einige weitere Beispiele aus meiner Lesepraxis sollen das katastrophale Navigationsinterface des Kindle nochmals eingehend demonstrieren:

  • Außer dem Inhaltsverzeichnis gibt es keine vorbereitete Möglichkeit Teile des Buches direkt anzuspringen. Abgesehen davon, dass auch der Weg zum HyperLink "References" im Inhaltsverzeichnis mehrere Manipulationen erfordert (Menü auswählen, zum Inhaltsverzeichnis blättern, dort die Seite mit dem HyperLink zu "References" aufsuchen um dann mit der 5-Weg Steuerungstaste Zeile für Ziele hinzufahren - siehe auch Foto: UI-Kindle-02), bringt ein Sprung zum Anfang des Literaturverzeichnisses noch nicht viel, weil dann erst recht – um die aufzusuchenden Stelle zu erreichen – noch etliche Mal "umgeblättert" werden muss. Bis man bei einem langen Inhaltsverzeichnis vom Buchstaben A beispielsweise AutorInnen deren Namen mit W beginnen erreicht hat, muss je nach gewählter Schriftgröße, leicht 20-30x "umgeblättert" werden.
  • Auch eine Suche nach den Namen der betreffenden AutorIn bringt nicht viel, weil dann alle Stellen im Buch mit kurzem Orientierungstext aufgelistet werden und so wiederum "geblättert" werden muss. So z.B. wird der Autor Guillemin so häufig aufgelistet, dass die Suchergebnisse 25 Seiten (bei meiner gewählten Schriftgröße) ausmachen und es keine Möglichkeit gibt um auf die 25. Seite (wo dann das Literaturverzeichnis als letzte Textstelle kommt) direkt zu springen (siehe Foto: UI-Kindle-01).
  • Ganz abgesehen davon, dass ja vorher entweder der Name eingegeben oder erst umständlich mit der sog. 5-Weg Steuerungstaste angefahren und selektiert werden muss. Apropos Eingeben: Es gibt keine Umlaute und auch die Sonderzeichen sind äußerst umständlich aufzurufen (siehe Foto: UI-Kindle-05). Zudem können Suchergebnisse nicht abgespeichert werden.
  • Verweise mit Seitenangaben im Text zeigen die Untragbarkeit des Kindle-Ansatzes deutlich und sind ein weiterer Punkt warum Fachbücher – wo solche Verweise häufig vorkommen – im Kindle nicht so richtig gut gelesen werden können.
  • Auch das freie Anspringen von Stellen im Buch ist durch die relative Fortschrittsanzeige nicht mehr intuitiv und mit Kopfrechnen verbunden: Das dritte Kapitel ist etwa bei der Hälfte des Buches, bei einer Gesamtlocation von 5207 ist dies etwa bei 2600, also: "Menü aufrufen, "Got to Location …" auswählen, die Zahl eingeben und dann bestätigen."

Fazit: Das User Interface ist (beim Kindle) für wissenschaftliche Bücher (noch?) ungeeignet.

2. Markierungen und Notizen umständlicher und mit weniger Wiedererkennungswert

Erwartungsgemäß sollte einer der wesentlichen Vorteile bei elektronischen Büchern in der elektronischen Weiterverarbeitung der Markierungen und Notizen liegen. Leider hat sich diese Hoffnung bisher für mich auch nicht richtig realisiert. Noch habe ich kein Fachbuch komplett durchgearbeitet und weiterverarbeitet (z.B. Textstellen für einen Artikel heraus gesucht und zitiert) und bin daher mit einer abschließenden Bewertung vorsichtig. Doch kann ich jetzt bereits auf einige Probleme hinweisen, die den Vorteil der elektronischen Markierungen und Notizen einschränken:

  • Durch die relative Fortschrittsanzeige macht eine visuelle Wiedererkennung keinen Sinn mehr. Die bisherige Praxis, dass ich beispielsweise eine Textstelle suche, die links oben etwa im Drittel des Buches sein muss, ist mit dem Kindle nicht mehr möglich. Durch die abstrakten 4-stelligen Zahlenangaben geht das Gefühl für die "Tiefe" der Stelle, wo der Text zu suchen wäre, verloren. Die %-Angaben, die es beim Kindle zwar auch gibt, sind zwar etwas intuitiver; können aber nicht direkt angesprungen werden. (Es muss die Zahlenangabe der relativen Location eingegeben werden.)
  • Vor allem aber ist eine visuelle Erinnerung (linke oder rechte Seite, oben, Mitte oder unten) komplett sinnlos geworden, da der Kindle beim Aufsuchen durch Blättern, Suchen oder Hinspringen auf Markierungen die Seite immer wieder anders darstellt bzw. anders umbricht. (vergleiche dazu die Fotos UI-Kindle-03 und UI-Kindle-04, die zeigen wie dieselbe Textpassage unterschiedlich umbrochen wird)
  • Das Markieren von Stellen und das Setzen von Lesezeichen mag vielleicht beim späteren (Weiter-)Verarbeiten helfen (da habe ich noch keine Erfahrungen), beim Durcharbeiten des elektronischen Buches ist es jedoch kein großer Vorteil. Wieder ist die sehr umständliche Nutzerführung des Kindle dafür verantwortlich: Zuerst muss einmal umständlich der betreffende Menüpunkt aufgesucht werden, damit dann zur betreffenden Stelle geblättert werden kann. Gibt es viele Markierungen und Lesezeichen, dann kann die Passage wiederum nur durch zig-maliges Drücken der "Next Page"-Taste aufgesucht werden.
  • Ein weiterer Nachteil für mich ist es, dass Anmerkungen nicht variiert werden können. Weder ist es möglich unterschiedliche Farben zu verwenden, noch können unterschiedliche Arten von Anzeichnungen (z.B. Unterstreichen des Textes, Anstreichen am Rand, Einkreisen einer Textstelle etc.) gemacht werden. Damit geht für mich zumindest wiederum ein wichtiger Teil des Wiedererkennungswert beim Aufsuchen von Textstellen verloren (vgl. die Fotos UI-Kindle-10 und UI-Buch).

Darstellungsprobleme bei komplexen Tabellen und Grafiken

Zufälligerweise hat mein Testbuch eine Menge von Tabellen und Grafiken, sonst wäre mir dieser Nachteil vielleicht gar nicht gleich aufgefallen. Da es beim Kindle keine Möglichkeit gibt Bild-Ausschnitte zu Vergrößern und durch einen Scroll-Mechanismus dann die betreffende Stelle aufzusuchen, müssen alle Tabellen und Grafiken mit dem kleinen 6"-Display auskommen. [Update (13.12.09): Bilder können zwar vergrößert werden aber – zumindest bei "Laboratory Life" – nur maximal auf das vorhandene Bildschirmformat. Wenn eine Grafik sowieso schon eine Bildschirmseite ausfüllt, hilft das daher recht wenig. Sie werden dann bloß um die beiden Ränder oben und unten größer.] Die Folge davon ist, dass das für Fachbücher wichtige Tabellen- bzw. Bildmaterial schier unleserlich ist (vgl. Fotos UI-Kindle-08 und UI-Kindle-09). Es gibt in "Laboratory Life" auch Fotos, die bestimmte Geräte und Situatiuonen der ethnographischen Untersuchung des Labors belegen sollen, deren schwarz-weiß Darstellung – wenn auch etwas dunkel und arm an Kontrasten - so doch insgesamt ausreichend waren (vgl. UI-Kindle-Bild)

Ähnliche Probleme gibt es auch bei komplexen Formatierungen von PDF-Dateien. PDFs sind aus technischen Gründen prinzipiell schwer darstellbar sind. Die von Kindle vorgenommen (experimentelle) Konvertierung ist insgesamt noch weit besser als Konverter in andere Formate – doch darüber zu einem späteren Zeitpunkt mehr.

Kindle hat kürzlich mit einem Software Update nachgebessert. In der neuen Software Version kann nun auch die Seite gedreht werden und damit das Querformat benutzt werden. Weiters sind nun PDFs auch direkt dh. ohne Konvertierung ins Kindle-Format .azw darstellbar. Eine Ganzseitendarstellung macht aber wegen der fehlender Scrollmöglichkeit bei meinem kleinen 6"-Display – trotz Lesebrille – wenig Sinn. Die daraus resultierenden Texte sind für mich nur sehr schwer und mühsam zu lesen  (siehe Foto: UI-Kindle-07).

Zusammenfassung

Abschließend kann daher gesagt werden, dass das Vergnügen beim Lesen mit dem Kindle bei den – sowieso vorerst noch sehr wenigen – Fachbüchern stark getrübt ist. Umständliches User Interface, keine Zitierfähigkeit, unleserliche Grafiken und Tabellen sind eigentlich Knock-Out Kriterien. Vor die Wahl gestellt ein Fachbuch in Print oder elektronischer Ausgabe für den Kindle zu kaufen, ziehe ich nach wie vor das traditionellen Buch vor. [Wie ein persönlicher Vergleich mit dem Sony Touch Screen Reader PRS-600 – mit dem ich seit kurzer Zeit experimentiere – zeigt, sind allerdings viele Probleme durch eine andere (bessere) Technologie/Software wahrscheinlich lösbar.]

Einstweilen gilt für mich bezüglich eBooks am Kindle: Belletristik ja, Fachbuch nein!

PS.: Mein Erfahrungsbericht wird demnächst mit einer Analyse der Amazon-Kindle Umgebung und deren Services fortgesetzt.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert