eEducation 10: innovative curriculare Aspekte

Im Zusammenhang mit dem neuen Design von eEducation 10, der im Frühjahr 2016 startet, berichte und diskutierte ich hier einige geplante Neuigkeiten. Abgesehen davon, dass wir die einzelnen Module des Masterlehrgangs überarbeitet haben, und nun stärker auch auf Social Media abzielen, gibt es auch neue Entwicklungen zum curricularen Design.

imagebild_eeducationIm Zusammenhang mit dem neuen Design von eEducation 10, der im Frühjahr 2016 startet, werde ich nach und nach über einige damit zusammenhängende Neuigkeiten berichten. Abgesehen davon, dass wir die einzelnen Module überarbeitet haben, und nun stärker auch auf Social Media abzielen, gibt es auch neue Entwicklungen zum curricularen Design.

Bildungstechnologische Werkzeuge nutzen (statt) lernen

Mit dieser – sicherlich etwas eigenartig klingenden – Überschrift möchte ich ein didaktisches Konzept beschreiben, dem wir uns in eEducation schon seit Beginn verpflichtet haben: Es besteht aus zwei Strategien:

  • Statt bildungstechnologische Zusammenhänge bloß theoretisch zu reflektieren, lernen unsere Studierenden auch eine Reihe von (Software-)Werkzeugen kennen, wie moderne didaktische Konzepte technologisch umgesetzt werden können. Der Lehrgang schließt zwar keine Programmierausbildung ein, bildet aber im technisch versierten Umgang mit diesen Werkzeugen aus.
  • Ein Grundprinzip des Lehrgangs dabei ist es, dass bildungstechnologische Software nicht direkt als eigenständiges Lernobjekt im Fokus des Interesses steht, sondern dass ihre Funktion als Werkzeug für bildungswissenschaftliche Erkenntnisse und für den didaktischen Gestaltungsprozess praktisch genutzt wird.

Salopp formuliert also: Werkzeuge lernen, indem sie genutzt werden.

imb-tutorials-screenshotEin Beispiel, um diese Doppelstrategie zu illustrieren: Im Modul "Bildungstechnologie I" verfassen Studierende ein eTutorial zu einem Aspekt bzw. einer Funktion eines bildungstechnologischen Werkzeugs. Auf unserer Seite IMB-E-Tutorials finden Sie Ergebnisse dieser Arbeiten. Aber die Auseinandersetzung mit diesen Werkzeugen, ist nur ein Aspekt, der andere (und aus meiner Sicht ebenso wichtige) ist das Lernen im Umgang mit jenem Werkzeug, das zur Produktion des E-Tutorials benutzt wird. Studierende lernen damit – sozusagen in einem "geheimen Lehrplan" – z.B. mit einer Screencast-Software wie Screencast-o-matic umzugehen.

Fokussierung und Wieder-Erkennungswert fördern

infotreff_bannerNun hat unsere Seite der IMB-E-Tutorials aber einige Mängel. Ich meine hier nicht, dass sie längere Zeit nicht gewartet und aktualisiert wurde und auch nicht, dass sie ein moderneres visuelles Facelifting braucht – all das ist im Zuge der Neugestaltung von eEducation 10 bereits in die Wege geleitet. Nein, ich sehe seit einiger Zeit einen ganz anderen Mangel, der sich nicht direkt auf die Seite selbst bezieht, sondern mit neueren curricularen Überlegungen zum Lehrgang zusammenhängt:

Das Problem, das ich hier ansprechen möchte, liegt in der Breite – um nicht zu sagen in der Beliebigkeit – der bearbeiteten und gesammelten referierten Werkzeuge. Natürlich gibt und gab es gute Gründe für diese Vorgangsweise: Erwähnen möchte ich hier die beiden Argumente:

  • die Vielfalt der bildungstechnologischen Werkzeuge darstellen und
  • selbstbestimmten Lernen fördern (Studierende wählen selbst das Werkzeug, das sie referieren (z.B."screencasten"), selbst aus.)

Ich glaube, dass sowohl Vielfalt als auch selbständige Auswahl beibehalten werden können, aber dass die Fragestellung umgedreht – sozusagen vom Kopf auf die Füße gestellt – werden muss:

A) Wenige, zentrale Werkzeuge untersuchen (und weiter entwickeln)

startapril16stipendiumReferiert (untersucht/beforscht) sollen einige wenige, zentrale Werkzeuge, die prototypisch für eine moderne Entwicklung stehen. Womöglich vor allem auch Werkzeuge, wo wir am Department führend an der didaktischen Weiterentwicklung dieser Instrumente – gemeinsam mit der Community der Entwickler/innen – mitarbeiten. Ein gutes Beispiel dafür ist Mahara, aber ich habe inzwischen auch andere Produktschienen und Kooperationen mit Entwicklungsgruppen initiiert (darüber ein anderes Mal).

  • Statt in die Breite zu gehen, und dabei auf der Oberfläche zu bleiben ("von allem ein bisschen was") würde der von mir vorgeschlagene Ansatz in die Tiefe gehen.
  • Statt  z.B. ein Social Bookmarking-Tool in einem weiteren "Aufguss" (= neue Version) zu referieren, sollten neuartige, innovative Prototypen im Rampenlicht stehen.
  • Statt sich in der Lehre auf altbewährten Terrain zu bewegen und bekannte Nutzungsszenarien zu vermitteln, sollte mehr Unsicherheit, Wagnis, Experiment ("Betaversionen") in die Lehre/Forschung einfließen.

Die freie Wahl sollte also nicht mit den Forschungssettings und den (wenigen) prototypischen Werkzeugen verknüpft werden, sondern bei jenen Werkzeugen zum Tragen kommen, die zur Bearbeitung, dem Verfassen, Berichten, Produzieren der eTutorials verwendet werden.

B) Wieder-Erkennungswert und Relevanz fördern

Ein weiterer Aspekt meines Vorschlages ist es, dass diese prototypischen Werkzeuge nicht nur in einem Modul eine kurzfristige Bedeutung haben, sondern – quasi als ein roter Faden – die Studierenden während ihres Lehrgangs "begleiten". Das stellt sowohl inhaltlich, organisatorisch als auch personell eine Herausforderung dar:

  • Inhaltliche Konzeption: Wie können in verschiedene Module die Lehrinhalte so konzipiert werden, dass sie sich in ihren theoretischen und praktischen Aspekten auf eine der wenigen zentralen Prototypen beziehen?
  • Relevanz und Wirkung: Wie kann sichergestellt werden, dass die Arbeiten der Studierenden nicht nur belanglose Nebenkommentare darstellen, sondern eine Wirkung (z.B. auf Produkt oder Entwicklungscommunity) zeigen?
  • Motivation des Staffs: Wie können die Professor/innen und Lehrbeauftragen vieler (wenn schon nicht aller) Module für dieses strategische Kalkül des Lehrgangs motiviert werden, sodass sie mitmachen und ihre eigene Expertise dazu einbringen?
  • Kontinuierliche Erneuerung: Wie kann sichergestellt werden, dass nach einiger Zeit (vielleicht 3 Jahren) wieder neue Produkte die Rolle des innovativen Prototypen übernehmen können?

WordPress-Plugins als Fallbeispiel zur streitbaren Diskussion

Damit meine Argumentation nicht zu abstrakt bleibt, wage ich es ein Beispiel darzustellen. Mir ist bewusst, dass damit meine Argumentation nicht nur angreifbarer wird, sondern auch andere – emotionale – Elemente – die Diskussion verzerren können. Wenn es um die Nutzung von Werkzeugen geht, gibt es häufig stark ausgeprägte persönliche Vorlieben, denen mit rationaler Argumentation nicht immer beizukommen ist.  – Trotzdem ich will es versuchen:

Ich habe mich in den letzten Tagen viel mit diversen Plugins für WordPress beschäftigt. Es ist aber nicht WordPress selbst, das ich hier als die zentrale Innovation, diesen Prototyp "in Betaversion" vermitteln möchte. Sicherlich: WordPress ist ein tolles Werkzeug, aber ich sehe es erst einmal als einen "Container", eine "Plattform" auf der viele dieser Innovationen – in Form von Erweiterungen (Plugins) – aufbauen.

cover-success-of-open-sourceEs ist dieser Überschwang an zig-tausenden Open Source- und kostenfreien Erweiterungen (40.000Stück lt. Wikipedia), die eine Brutstätte innovativer Entwicklungen darstellen. Es ist gerade der "schnelle Flop", die diskontinuierliche Entwicklung, die nach Steven Weber den Erfolg von Open Source Software ausmacht. 1 Vorhaben in Open Source-Software scheitern viel schneller als langfristig geplante Projekte von Apple, Google, Microsoft, IBM etc. Die Opportunitätskosten sind deshalb viel niedriger und Open Source-Entwicklungen können es sich daher leichter leisten zu scheitern. Sie können mehr Risikobereitschaft zeigen und neue Wege gehen.

Die Konkurrenz dieser Erweiterungen schafft erst das Klima einer Innovationsbrutstätte, wo einerseits hunderte Plugins nicht (mehr) funktionieren, wo aber auch andererseits Juwelen versteckt sind, die – zwar häufig im Hintergrund eine kommerzielle PRO-Version haben – sich aber in ihrer kostenlosen Variante trotzdem erst einmal in diesem Nährboden der "Nobodies" bewähren müssen.

Ich halte dies nicht nur für eine interessante Lernerfahrung, in diese Mikrowelt einzutauchen, sondern es sind auch andere Kriterien für prototypische Ausbildungsprodukte erfüllt:

  • Vielfalt: Wie gesagt, es gibt an die 40.000 Plugins, zu allen möglichen und unmöglichen Themen. Das reicht von (multimedialen) Annotationswerkzeugen, über Chats, Open Badges, Gamification-Tools bis hin zu Quiz-Werkzeugen und ausgewachsenen Lernmanagement-Systemen.
  • Zugang: Die Plugins sind frei (kostenlos) zugänglich und können ohne viel technischen Aufwand installiert werden. Eine breite Nutzung innovativer Plugins ist zwar nicht sicher gestellt, aber durch die große Verbreitung von WordPress möglich, ja fast wahrscheinlich. (WordPress läuft auf mehr als 60 Mio. Websites, fast jeder vierte, der weltweit besten 10 Mio.-Websites nutzt WordPress, es ist derzeit das weltweit-beliebteste Bloggin-System.)
  • Wirkung: Durch den hohen Verbreitungsgrad einerseits, aber auch durch die Kommunikation und "Nähe" der Entwickler/innen ist es leichter möglich Wirkung und Relevanz zu entfalten.

Aber mein Argument der "Brutstätte von Innovation" ist nicht als Selbst- und Endzweck zu sehen. Es soll nur zweierlei  nahelegen:

  • Einerseits, dass in einer solchen Atmosphäre leichter innovative Produkte gefunden werden können und
  • andererseits, dass durch die Vielfalt  leichter 2-3 Produkte zu finden sein sollten, die eine prototypische Funktion für das Curriculum  (den berühmten "roten Faden") wahrnehmen können.

Aus heutiger Sicht könnte ich mir beispielsweise die Kombination des Lernmanagement-Systems Namaste mit dem Quiz Watu in solch einer Funktion durchaus vorstellen. Sie haben nicht nur einen direkten didaktischen Bezug, sondern sich auch entsprechend komplex, mit  vielen Funktionen und Zusätzen ausgestattet: Am Beispiel alleine von Watu: Gamification, Likert-Skala, Umfrage, Praxis- und Prüfungsmodus, Chained Logic, Kompetenzmessung, Badges/Zertifikate, Punkte- und/oder Notensystem und last not least stehen auch responsive Entwickler dahinter). Und das alles ist zwar nicht mehr im Betastadium, aber auch bisher noch kaum in der Anwendung von didaktisch sinnvollen Szenarien erforscht und genutzt. Ein weites Feld also für einen forschend/produktiven Lehrgang, wie er eEducation darstellt.

Fußnoten

  1. Weber, Steven. 2005. The Success of Open Source. New Ed. Harvard University Press.

Von Peter Baumgartner

Seit mehr als 30 Jahren treiben mich die Themen eLearning/Blended Learning und (Hochschul)-Didaktik um. Als Universitätsprofessor hat sich dieses Interesse in 13 Bücher, knapp über 200 Artikel und 20 betreuten Dissertationen niedergeschlagen. Jetzt in der Pension beschäftige ich mich zunehmend auch mit Open Science und Data Science Education.

2 Antworten auf „eEducation 10: innovative curriculare Aspekte“

Hallo Herr Baumgartner,

in dem Kontext „und nun stärker auch auf Social Media abzielen,“ vielleicht interessant: http://socialmediaforeducation.org/en_gb/
Hintergrund dazu u.a. in unserem GMW Artikel (Eintrag 4, http://www.somecat.org/conferences-and-workshops/).

Das „Bildungstechnologische Werkzeuge nutzen (statt) lernen“ hätte sicher auch Erich Kästner unterstützt – „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“.

Beste Grüße
Christian Rapp

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