Am Freitag hielt ich in Berlin ein Referat zum Stand der Qualitätsdebatte bei E-Learning. Dies war mein Beitrag im Rahmen des Fachkongresses "Bildung und Qualität", der vom Forum DistancE-Learning organisiert wurde. Die Veranstaltung war eine von vielen Veranstaltungen die bundesweit in Deutschland im Rahmen des Fernstudientags stattfanden.
Das Ziel der Veranstaltung war es einen breiten und durchaus kritischen Bogen zur Qualität von (berufsbegleitender) Weiterbildung aufzuspannen. Dahinter stand unter anderem die Absicht auf die Norm PAS 1037 "Anforderungen an Qualitätsmanagementsysteme von Organisationen der wirtschaftsorientierten Aus- und Weiterbildung: QM Stufenmodell" hinzuweisen.
Qualität sichern: ja - weiter entwickeln: Nein
Zu Beginn der Veranstaltung war ich ein wenig unsicher; hatte ich doch einige kritische Anmerkungen zu den (Un)Möglichkeiten der Zertifizierung von Qualität in Lernprozessen anzubringen. Aber schon nach dem sehr tiefsinnigem und zudem noch unterhaltsamen Referat von Klaus Landfried, dem ehemaligen Präsidenten der deutschen Hochschulrektorenkonferenz (HRK) fühlte ich mich wohler: Stand ich doch mit meiner Kritik nicht allein und Herr Landfried bereitete quasi den Boden für mein Referat auf. Ich brauchte die Kritik nur mehr streifen und konnte nach einer kurzen Einleitung direkt auf mein Thema eingehen. Aus meiner Sicht können die verschiedenen Prozessmodelle, zu einer Transparenz und damit Vergleichbarkeit der verschiedenen Angebote beitragen und sie können unter Umständen auch die ärgsten Auswüchse verhindern und damit für Mindeststandards sorgen. Damit ist immerhin schon sehr erreicht - und ich stehe daher diesen Systemen durchaus positiv gegenüber. Was aber diese Systeme nicht können - und das muss deutlich gesagt werden: Sie können die Qualität von Lernprozessen nicht weiter entwickeln.
Das Problem liegt darin, dass sie der intrinsischen Qualität eines Lernprozesses äußerlich sind. Sie können die Rahmenbedingungen, die Organisation und das Management, die eingesetzten Ressourcen etc. prüfen und hier für eine Mindestausstattung sorgen. Qualität ist aber nicht ein Objekt, das vermessen werden kann. Qualität ist eine emergente Eigenschaft, die sich aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren der Lernumgebung herauskristallisiert. So wie ich nicht sagen kann, dass ein Wassermolekül flüssig ist, sondern die Eigenschaft "flüssig" eine emergente Eigenschaft der Verbindung von Wasseratomen mit Sauerstoffatomen darstellt, so kann ich nicht sagen, dass das Vorhandensein der notwendigen Einzelteile einer Lernumgebung bereits Qualität produziert. Die in den Standards der Qualitätssicherungssysteme festgelegten Bedingungen sind daher (vielleicht) notwendige aber noch nicht hinreichende Bedingungen für Qualität.
(Ganz abgesehen davon, dass diese Systeme häufig bürokratisch organisiert sind, einem eigenen Geschäftsmodell unterliegen und selbst wiederum (Markt-)einflüssen unterliegen, die nicht von Qualität sondern von Wettbewerbserwägungen geleitet sind. - Qualitätsagenturen "leben" d.h. finanzieren sich von ihren Prüfungsprozessen. Nicht umsonst wird daher dieser gesamte Bürokratisierungsprozess auch immer stärker kritisiert. Sehr eindrucksvoll und theoretisch fundiert liest sich dazu das kritische Buch von Michael Power The Audit Society - Rituals of Verification.
E-Learning Qualität als bloße Dienstleistung?
Ein sehr interessantes - und teilweise auch als Kritik an meine Sichtweise zu verstehendes – Referat wurde von dem von mir sehr geschätzten Dr. Burkhard Lehmann von der TU Kaiserslautern gehalten. In seinem pointierten Beitrag führt Lehmann aus, dass es sich bei E-Learning in erster Linie um eine Dienstleistung handelt, die – ähnlich wie andere Dienstleistungen auch – entsprechend organisiert werden muss. Aus seiner Sicht ist jede Didaktik sowieso nur ein Angebot an die Lernenden, das ergriffen werden kann – und zu einem Lernprozess führt - oder nicht. Es macht daher keinen Sinn wenn Pädagog/-innen (wie z.B. ich ) sich dauernd Sorgen um die Qualität des Lernens machen.
Ich finde diesen systemischen Ansatz zwar interessant, sehe darin aber die Gefahr, dass nurmehr geschaut wird, ob gewisse Leistungen erbracht werden; nicht aber ob die intrinsische Qualität dieser Leistungen stimmt. Wenn man Burkhards Ansatz – wir kennen uns schon viele Jahre und sind per Du – weiter denkt, dann geht es gar nicht mehr darum, die Qualität der didaktischen Interaktion zu verbessern, sondern bloß sicher zu stellen, dass es ein entsprechendes Angebot, Beratung, Feedback etc. in entsprechendem Ausmass (24x7) und in adäquaten Zeitabstand der Anforderung gibt. Das Qualitätsniveau wird – entsprechend der bereit gestellten Ressourcen, die wiederum von der Finanzierung, die die Lernteilnehmer/-innen bereit sind zu zahlen, abhängt – bestimmt. Das ist aber derselbe kategoriale Fehler, den auch die von Burkhard heftig kritisierten Qualitätsmanagementsystem begehen: Die Verwechslung von notwendigen und hinreichenden Bedingungen.
Weiteres Material
Sie finden anbei den Foliensatz meines Referats. Die Vorausschau der Veranstaltung und eine Einführung zur Veranstaltung finden Sie unter Veranstaltungen rund um die PAS. Es gibt auch einen PDF-Flyer (347 kB) dazu. Ich gehe davon aus, dass demnächst die vollständigen Unterlagen auch der anderen Vortragenden sich im Internet auf den Seiten des Forum DistancE-Learning finden werden (Wahrscheinlich unter DistancE-Learning -> Der bundesweite Fernstudientag… -> Rückblick 2009.) Schon jetzt finden Sie jedoch einen Twitter-Rückblick von Dörte Giebel unter http://twitter.com/dieGoerelebt.