Anmerkungen zu Richard Münch: Die akademische Elite - Zur sozialen Konstruktion wissenschaftlicher Exzellenz
Von meinem ehemaligen Kollegen Wolfgang Jütte bekam ich schon vor einigen Monaten den Tipp Die akademische Elite von Richard Münch zu lesen. Im diesjährigen Urlaub kam ich nun endlich dazu. Das Buch ist sehr empfehlenswert. Es zeigt auf, wie die Exzellenzinitiative der deutschen Bundesregierung nicht nur ein Schlag ins Wasser ist, sondern sogar einen Rückschritt bedeutet: Statt zur Steigerung der internationalen Konkurrenzfähigkeit der deutschen Forschung beizutragen, führt sie letztlich zur Monopolbildung einiger weniger Universitäten auf Kosten der Innovation und Kreativität der Masse der deutschen ForscherInnen.
Ich muss sagen, dass mich das Buch nicht nur innerlich aufgewühlt, sondern erschüttert und zum Teil sogar deprimiert hat. Am empirischen Material der Mittelzuweisungen, der Zusammensetzung und Arbeitsweise von Instanzen der Exzellenzuschreibung (z.B. DFG, Wissenschaftsrat), den maßgeblichen Kennzahlen bei den Rankings und der vewendeten "Reform"-Rhetorik wird gezeigt, wie sich hermetisch abgeschlossene Machtzentren auf dem Wissenschaftsfeld ausbilden. Selbst bei so scheinbar nur inhaltlichen wissenschaftlichen Kriterien verpflichteten Prozeduren wie Expertenkommissionen, fachliche Expertisen und peer reviews setzt sich eine klare Schlagseite nach dem Matthäus-Prinzip: "Wer hat dem wird gegeben" hinter dem Rücken der Akteure durch.
The winner takes it all
Das Schockierende für mich war es nicht, dass die Exzellenzinitiative der deutschen Bundesregierung problematisch ist, sondern dass scheinbar fachliche (neutrale) Diskurse, gut gemeinte Interaktionen und Praktiken (wie z.B. peer review-Verfahren) hinter dem Rücken der Akteure als Dispositve der Macht (Foucault) wirken. Davon sind dann unter anderem auch die Aktivitäten von wissenschaftlich angesehenen Institutionen und ExpertInnen (wie z.B. auch meine eigene Tätigkeit als Gutachter und Mitglied von Expertenkommissionen) betroffen. Durch viele kleine Mechanismen (z.B. Informationsassymetrien, Effekte der Größenordnung, Entscheidungsfindung bei Unsicherheit etc.) setzt sich ein konservativer Effekt durch: Vertraue dem, der viel Ressourcen (ökonomisches Kapital) und bereits hohe wissenschaftliche Reputation (symbolisches Kapital) hat.
Es sind diese viele kleinen Mechanismen, die aus meiner Sicht das Buch von Richard Münch so spannend und für mich aufwühlend gemacht haben. Ich versuche aus meiner Erinnerung nachfolgend einige dieser – im Buch leider unsystematisch verstreuten – Dispositive der Macht zu geben:
- Die Annahme, dass hohes Drittmittelaufkommen erhöhte wissenschaftliche Produktivität (erhöhten Publikationsoutput) signalisieren, ist – bezogen auf die relative Anzahl beteiligter ForscherInnen falsch! Die absoluten Zahlen, die für die Kennzahlenkonstruktion herangezogen werden, müssen auf die Personenanzahl relativiert werden. Dann stellt sich die Liste der 10 Spitzeninstitutionen als ein Mythos dar!
- Die Annahme, dass durch die Förderung von "Spitzen"-Organisationen ("Leuchttürme"), die internationale Konkurrenzsituation der deutschen Wissenschaft verbessert werden kann, ist falsch. Nicht Organisationen betreiben Forschung, sondern Personen. Durch die Förderung von Organisationen werden große Traditionsuniversitäten herausgehoben und die überall vorhandenen SpitzenforscherInnen an anderen Standorten benachteiligt. Insgesamt gesehen ist das nicht nur bloß ein "Nullsummenspiel", sondern führt zu oligarchischen Strukturen, die sogar einen Rückschlag bzw. Verschlechterung durch Einschränkung der Wettbewerbssituation mit sich bringen.
- Die Annahme, dass große Forschungseinheiten ("kritische Masse") unter Führung einer Spitzenpersönlichkeit aufgebaut werden müssen, erweist sich als falsch. Die Führungskraft verkommt zum Forschungsmanager, der ein Herr von abhängigen Arbeitssklaven - ohne eigene Karriereperspektiven – anleitet. Neue Ansätze, Kreativität, Innovation und Risikobereitschaft wird dadurch eingeschränkt und es wird bloß Normalwissenschaft (Thomas Kuhn) oder wie es Münch noch ätzender nennt: "Routinewissenschaft" betrieben.
- Das ökonomische Kapital (absolut gesehen hohe (Drittmittel-)Summen) großer Institutionen bringt fast automatisch hohes soziales Kapitel hervor (viele Menschen haben größere Chancen sich zu vernetzen und vice versa. Das darauf aufbauende symbolische Kapital (Mitglied in wichtigen Entscheidungsgremien) verstärkt diesen Kreislauf. An Hand der Mitgliederlisten von DFG-Kommissionen weist Münch nach, dass die großen Unis hier bereits Kartelle gebildet haben.
- Die Einschränkung der Grundfinanzierung der Universitäten und die Auslagerung dieses Budget auf einzuwerbende Drittmittel erhöht nicht nur den bürokratischen Aufwand (Anträge schreiben), sondern bevorteilt systematisch große Institute mit einer großen Zahl an abhängigen MitarbeiterInnen – die an einer Weiterfinanzierung ihrer Stellen hoch motiviert sind. Wissenschaftliche Institute verkommen zu Antragsmaschinen, was eben nicht automatisch zu relativ (!) höhreren wissenschaftlichen Output in Form von Publikationen führt (siehe Punkt: 3).
- Die extreme Wettbewerbssituation bei der Einwerbung von Drittmittel führt zu einer enormen Überbuchung von Anträgen, die von den langfristig nominierten (meisten männlichen) "Honoratoren" im Sinne ihrer eigenen Vorstellung von Wissenschaft bewertet werden. Das lässt wenig Raum für neue, innovative Ansätze weil die Anträge möglichst "unangreifbar", dem herrschenden Wissenschaftsparadigma folgend, geschrieben werden.
- Weil die Anträge auf Grundlage der Überbuchung schärfer bewertet werden müssen und sich GutachterInnen bei einer wohlwollenden Bewertung auch der Gefahr der Kritik von Inkompetenz aussetzen (indem z.B. ein anderer GutachterInnen verschiedene Schwächen moniert) gibt es keine Anträge mehr, die nicht einer grundsätzlichen Kritik ausgesetzt sind. Weil GutachterInnen ihr eigenes Risiko minimieren, hängt die positive Entscheidung – welche Anträge dann tatsächlich zum Zuge kommen – dann in letzter Instanz doch wieder von der bisherigen Reputation der AntragsstellerInnen, ihren bisherigen Leistungen, ihrer Institutionen und sogar von den in den Gremien vorhandenen ExpertInnen (symbolisches Kapital) ab. [Es ist zwar nicht so, dass es einen direkten Zusammenhang von der institutionellen Herkunft der GutachterInnen und der genehmigten Anträge derjenigen Institutionen gibt, es lässt sich aber ein statistisch signifikanter Zusammenhang der symbolisch großen und mächtigen Institutionen nachweisen.]
- Die Akzeptanz der Hierarchie der Zeitschriften nach Impaktfaktoren (Zitationen) bedeutet ganz automatisch ein Unterordnen unter die Hegemonie der amerikanischen Forschungskultur und führt zu einem enormen Wettbewerbsnachteil der nichts mit inhaltlichen Gründen zu tun hat. Amerikanische ForscherInnen haben einen größeren Markt und zitieren sich vorwiegend gegenseitig selbst (= hoher Impact!). Selbst die führenden europäischen Zeitschriften können hier nicht mithalten und das Zitieren amerikanischer Literatur von EuropäerInnen fördert diese Asymmetrie noch weiter. Letztlich wird damit nicht nur der bereits vorhandene Vorteil der englischen Sprache weiter verstärkt, sondern auch die Provinzialität der amerikanischen Forschung geradezu gehuldigt!
- Die Akzeptanz der Impactfaktoren von Zeitschriftenartikel führt automatisch auch zu einer Überbetonung von Natur- und Technikwissenschaft, sowie Medizin. In den Sozial- und Geisteswissenschaften ist nach wie vor das Schreiben von Monographien entscheidend, das aber in diesem System nicht entsprechend gratifiziert wird.
- Durch die bereits getroffenen bisherigen Entscheidungen entsteht eine "Pfadabhängigkeit", wodurch eine Fortsetzung des bisherigen Kurses biliger und rationaler erscheint als ein Umlenken und Umdenken.
Radikale Vorschläge
Die oben genannten Mechanismen werden einzeln durch umfangreiches Datenmaterial, Fallstudien und auch durch (meine eigenen) Erfahrungen bestätigt. Die einzelnen Faktoren ergeben aber ein Gesamtbild, das mich persönlich – trotz vielfältiger – auch auch unsymmtematischer bloß fallbasierter und anekdotischer Erfahrung auf diesem Gebiet – trotzdem sehr überrascht und emotional bewegt hat. Nicht weniger überraschend sind auch die sich konsequent daraus ergebenen Schlussfolgerungen, die Münch – in meiner Lesart – nur an zwei/drei Stellen relativ vorsichtig und ein wenig im Soziologendeutsch versteckt und verklausuliert erwähnt:
- Auflösung der Monopole der Konsekrationsinstanzen (=Instanzen der Exzellenzuschreibung) wie z.B. der DFG udn Gründung mehrerer im Wettbewerb stehender Insitutionen. Das kommt im Prinzip dem Schlachtruf "Zerschlagt die DFG" gleich – wie Wolfgang Kemp in einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung auch schreibt.
- Beschränkung der Funktionsperiode von Mitgliedschaften in diesen Institutionen, Verjüngung und gendersensitive Wahl.
- Abgehen von der Idee der "Leuchttürme" und Bildung von großen (außeruniversitären) Forschungsinstitutionen mit einer großen Anzahl von abhängigen MitarbeiterInnen. Differenzierte Forschungsförderung von Forscherpersönlichkeiten und nicht Forschungsinstutionen.
- Alle bisherigen abhängig beschäftigten MitarbeiterInnen zu JuniorprofessorInnen umwandeln (Junior Faculty), die mithelfen die Lehrbelastung zu reduzieren und unabhängige Forschung(skooperation) betreiben können.
- Statt einem zentralen Forschungsleiter, dem eine Masse von abhängigen wissenschaftlichen MitarbeiterInnen untersteht, müssen gleichberechtigte Kollektive nach dem amerikanischen Vorbild gebildet werden. Ein 1/3 Seniorfaculty mit Tenure Track (Verbeamtung) arbeitet gleichberechtig zusammen mit einer Juniorfaculty (= die anderen 2/3 der ForscherInnen), die – nach entsprechenden Leistungen – bereits nach 5 Jahren auch Tenure Track erhalten soll.
Trotz kleinerer Schwächen – Unbedingt Lesen! –
Leider ist das Buch aus meiner Sicht didaktisch nicht besonders gut aufgebaut: Die Argumentation ist so redundant, dass es manchmal ärgert: Wenn jemand das Buch neu liest: Zählen Sie mal wie oft folgende Argument in der einen oder anderen Form wiederholt wird: "Die Exzellenzinitiative wird Vielfalt, Kreativität, Inovation und Wettbewerb einschränken und die oligarchische Struktur der Wissenschaft verstärken?" Ich schätze nachträglich zwischen 30-50x! Sowohl der Umfang (474 Seiten) als auch die soziologische Sprache macht die Argumente im Buch zusätzlich nicht gerade leicht zugänglich. Das ist schade, weil damit die darin entwickelte wichtige Argumentation nicht so große Verbreitung findet, wie es notwendig wäre. – Trotz dieser Schwächen: Die akademische Elite ist unbedingt zu empfehlen und lesenswert!!!
Jetzt wo ich zum Buch ein wenig recherchiert habe, bin ich auf zwei weitere empfehlenswerte Netzeinträge gestoßen. Einerseits der bereits 2007, kurz nach dem Erscheinen des Buches geschriebene Kommentar in Gabi Reinmanns Weblog (peinlich für mich: Ich muss öfters die Einträge meiner Freunde und GesinnungsgenossInnen lesen ) als auch der bereits erwähnte und von Gabi entnommene Hinweis auf eine gute und leicht verständliche Zusammenfassung in der Süddeutschen Zeitung.
PS.: Obwohl Münch sich überwiegend mit der deutschen Situation beschäftigt hat (es gibt kleine Exkurze zu England, Frankreich und vor allem USA), bin ich überzeugt davon, dass die Darstellung der Exzellenzzuschreibung als soziale Konstruktion sowie seine Schlußfolgerungen durchaus auch für die österreichische Situation in gewissen Maße zutreffen!
Re:Forschungsexzellenz als soziale Konstruktion
Kommentar von muente am 09.12.2009 11:06
Lieber Peter Baumgartner,
Wenn – wie Sie in diesem Beitrag schreiben – die Lektüre von Richard Münchs “Globale Eliten …” für Sie anregend, geradezu erschütternd war, dann gefällt Ihnen womöglich auch das Buch “Globale Immunität oder Eine kleine Kartographie des europäischen Bildungsraums” von Jan Masschelein und Maarten Simons – erschienen bei Diaphanes 2005 (http://tinyurl.com/ybrmhh3). Dieses kleine, m.E. gut lesbare Büchlein versucht, im Anschluss an Foucault (auf den sich ja auch Münch bisweilen bezieht, worauf wiederum Sie hinweisen) und im Anschluss an die ihrerseits an Foucault anschließenden Gouvermentalitäts Studien den neu entstehenden europäischen Hochschulraum zu vermessen. Anders als Münch haben die Autoren dabei insbesondere die darin zunehmend zur Wirkung kommenden Subjektivierungsweisen im Blick, mit denen sich die beteiligten Akteure konfrontiert sehen. Damit stehen u.a. auch Fragen der Selbststeuerung, -kontrolle, -bestimmung und -des Selbstmanagements im Zentrum der Studie. Auch das Portfolio (was ja jüngst in Hamburg unser gemeinsames Thema war) wird auf S. 39 explizit benannt.
Vielleicht haben Sie Freude dran. Mich würde es freuen.
herzlichen Gruß
Stephan Münte-Goussar
Re:Forschungsexzellenz als soziale Konstruktion
Kommentar von baumgartner am 10.12.2009 16:44
Vielen Dank für den Literaturtipp. Soeben bestellt!