Ist meine Position radikal genug?
In der Diskussion, die meiner Keynote auf der EDEN Konferenz am 15. Juni folgte, wurde die provokante Frage wufgeworfen, warum ich auf halben Wege stehen bleibe. Wenn nicht mehr Content die Hauptsache ist, warum dann die Lernsituation und nicht die Lernenden selbst? Statt also zu sagen: "Kontext is king" müsste es heißen "Learner is king".
Diese Frage ist nicht trivial. Es scheint sich um eine berechtigte Kritik meines Ansatzes zu handeln, der als nicht genügend radikal eingestuft wird. Und tatsächlich stimme ich den dahinter stehenden Voraussetzungen und Annahmen vorbehaltslos zu:
- Natürlich sind es letztlich die Lernenden um die es geht.
- Natürlich betone ich gerade in den fortgeschrittenen didaktischen Setting die Selbstorganisation der Lernenden.
Trotzdem halte ich die Kritik für überzogen: Ich sehe mich weiterhin als Lehrperson, die sich unter anderem auch darum bemüht, dass Curricula in Bildungsinstituionen möglichst praxisnah erfolgt. Ich sehe mich weiterhin als Lehrperson, dies sich um (Aus-)Bildung bzw. Lehre bemüht. Aus dieser Rolle möchte ich mich nicht einfach verabschieden indem ich alle Verantwortung auf die Lernenden transferiere. Die Frage für mich ist: Wenn informelles Lernen so erfolgreich ist, welche Schlussfolgerungen lassen sich für formale Curricula daraus ziehen?
Formelles und informelles Lernen bilden eine Einheit, beide Lerntypen sind in unserer Kultur wichtig. Die Tatsache, dass informelles Lernen meist unterschätzt wird, darf nicht dazu verleiten, jetzt umgekehrt die andere Seite zu ignorieren und das Kind mit dem Bade auszuschütten.
Es ist eine Frage der Perspektive und Generalisierung: Letztlich geht es um die Lernenden und daher hat der Satz "The Learner is the king!" eine gewisse Stimmigkeit. Das ist aber nur richtig von einem sehr allgemeinen Standpunkt, sozusagen einer Vogelperspektive. Ein Nachteil einer so allgemeinen Sichtweise ist es jedoch, dass die wichtigen Differenzierungen im Detail verwischt werden. Wenn wir unseren Globus aus dem Weltall sehen, können wir keine einzelnen Landschaften (Wälder, Häuser, Strassen etc.) mehr ausmachen.
Aus meiner wissenschaftstheoretischen Perspektive, die von Polanyis Theoire der ontologischen Schichtung inspiriert ist, ist es zwar wichtig, dass wir alle sturukutruell unterschiedlichen Ebenen in Betracht zu ziehen. Falsch aber wäre es nurmehr eine Ebene für die einzige richtige Perspektive zu halten. Ich bleibe daher bei meiner Aussage, dass in Lehrsituationen Context der King ist. Aus dieser (eingeschränkten) Perspektive sind nämlich Lernende selbst Teil des didaktischen Kontextes (z.B. Co-Learner mit unterschiedlichen Rollen im Lehr- und Lernprozess).
Re:Context is king versus Learner is king
Kommentar von Stephan Moselam 26.06.2006 10:05
"Der Lerner" ist für mich ein ziemlich abstraktes Konstrukt, wenn ich mal so darüber nachdenke. Da kann man wenig allgemeines zu sagen, was dann in der konkreten Situation noch hilfreich ist. Von daher kann ich den Bezug auf die jeweilige Lernsituation schon nachvollziehen.