Zum zweiten Mal war Reinhard Bauer und ich bei der EuroPLOP (European Conference on Pattern Languages of Programs). Und wieder war es jene Veranstaltung, wo ich nicht nur am meisten gelernt habe sondern mich am wohlsten gefühlt habe. Mit einem Wort: es war wieder DAS Konferenz-Highlight des Jahres!
Um zu verstehen, warum ich von der EuroPLoP so begeistert bin, lesen Sie bitte meinen Blogbeitrag vom letzten Jahr (Werkstatt der Schreiberlinge). Die dort gemachten Beobachtungen kann ich nun durch weitere Details - die mir voriges Jahr als kompletter Neuling durch die Fülle der Eindrücke entgangen sind - anreichern:
Drei weitere Elemente zum "Netzwerken"
- Es wird täglich eine "Zeitung" mit den Namen "Kloster Hearsay" (Anspielung auf das Kloster Irsee, in dem die Konferenz stattfindet) herausgegeben. Darin finden sich unter normalen Informationen auch Berichte über verschiedene Vorfälle oder Zitate, die - in einem witzigen aufgeregten Reporterstil geschrieben -für Schmunzeln sorgen. Die Zeitung liegt nach dem "Daily Summary" auf und wird gemeinsam mit lauten Kommentaren gelesen. Ein weiteres Element zum Netzwerken (vgl. den Bericht vom vorigen Jahr: Ziel ist "networking, not delivering a paper". "Patten writers are here to get feedback from their peers".)
- Im vorigen Jahr hatte ich beim Konferenzdinner das kollektive Umsetzen (Wechsel des Sitzplatzes) nach jedem Gang noch etwas nervig und unnötig empfunden. Diesmal habe ich es als eine großartige Idee empfunden zu verhindern, dass an einem ganzen Tag nur mit dem Tischnachbar links oder rechts geredet werden kann. Ich habe das Umsetzen daher ganz bewusst genutzt um mit Leuten ins Gespräch zu kommen.
- Diesmal habe ich die beiden Elemente Birds of Feather (BoF) und Open Space deutlicher wahrgenommen. Es ist eine tolle Gelegenheit relativ spontan zusammen zu kommen um sich zu gegenseitig interessierenden Themen verständigen zu können. Ich habe diese Möglichkeit dieses Jahr extensiv genutzt. Ganz besonders spannend war ein Open Space zur Frage, was wir tun können, damit wir mehr AutorInnen zu didaktischen Entwurfsmustern motivieren können, damit wir mehr Leute sind, die pädagogische Muster diskutieren.
Schafe hüten (Shepherding)
Ein besonderes Highlight für mich war diesmal der Besuch eines Workshops von Neil Harrison. Er war mir bereits als Autor von "The Language of Shepherding:
A Pattern Language for Shepherds and Sheep" (, 157kB) über die Literatur bekannt. Dieses Jahr hatte ich Gelegenheit ihn persönlich kennen zu lernen und habe seinen zweiteiligen Workshop zu "Shepherding" besucht.
Auch dieses Jahr - so muss ich gestehen - habe ich den Shepherding-Prozess kaum bewusst wahrgenommen und hat Reinhard Bauer (wieder einmal) die meisten Arbeit und Kommunikation übernommen. Ich hatte eigentlich gar nicht vor zum Workshop zu gehen, da ich mich ja noch viel zu unerfahren fühlte, für das nächste Jahr mich selbst als Shepherd zur Verfügung zu stellen. In seiner Einladung zum Workshop wies aber Neil daraufhin, dass der Workshop auch für neue "Sheeps" (BeginnerInnen) interessant sei. Und das traf dann auch voll zu.
Obwohl ich Neil's Papier schon mal flüchtig gelesen hatte, wurde mir erst im Workshop die volle Tragweite seiner "Language aof Shepherding" bewusst. Viele der darin dargestellten Muster lassen sich auch für die Betreuung meiner DissertantInnen einsetzen. Bevor ich drei (für mich) ganz besonders wichtige Punkte heraus greife, eine allgemeine Vorbemerkung: Der gesamte Shepherding-Prozess hat nicht nur bloß eine inhaltliche Seite (der Shepherd hilft dem Sheep dessen Paper zu verbessern), sondern hat einen ganz wichtigen sozialen Aspekt: Er dient vor allem dazu das Sheep auf die Konferenz vorzubereiten, dessen Würde zu bewahren und es zu schützen!
- Das Muster "The Shepherd Knows the Sheep" behandelt die soziale Beziehung zwischen Sheep und Shepherd. Das ist natürlich für eine Konferenz, wo sich Sheep und Shepherd vielleicht noch nie persönlich kennen gelernt haben und (vorerst) nur über E-Mail verkehren, ganz besonders wichtig. Das Muster gibt Hinweise, wie Feedback gegeben werden soll (wie überhaupt die gesamte EuroPLoP ein Training für konstruktives Feedback darstellt!) und wie eine nicht bedrohliche Beziehung aufgebaut werden kann.
- "Three Iteration" und "Half a Loaf": Es war für mich interessant zu erfahren, dass es nicht gut ist, wenn es mehr als drei Iterationen zum Verbessern des Beitrages gibt. Aus Erfahrung zeigt sich, dass mehr nicht gut ist: Einerseits weil die Kommentare eine Tendenz haben redundant zu werden und andererseits weil es die Gefahr besteht, dass das Sheep zu sehr vom Shepherd abhängig wird.
- Das Muster "Autor as Owner" geht ebenfalls auf die Gefahr der Abhängigkeit ein. Es ist gar nicht gut, wenn ganz konkrete Hinweise vom Shepherd gegeben werden, die das Sheep dann "brav" umsetzt. Einerseits liegt die eigentliche inhaltliche Expertise ja beim Schaf und andererseits soll das Schaf weiterhin Eigentümer des Beitrags bleiben- und nicht etwa nur mehr zweit gereihter Co-AutorIn. Eine gute Idee ist es daher nicht inhaltliche Vorschläge zu geben, sondern solche Fragen zu stellen, die AutorInnen zum Überdenken und zu Änderungen anregen. Es handelt sich dabei um "generative" Fragen, also Fragen, die das Themenfeld öffnen und nicht bloß durch "Ja" oder "Nein" zu beantworten sind. Wir haben im Workshop das auch an Hand fehlerhafter Muster geübt. Zuerst ging es darum den Fehler zu finden, dann darum eine entsprechende Intervention für das Sheep zu entwickeln.
Der Workshop hat mir extrem gut gefallen und ich muss sagen, dass es mir sogar
ein wenig peinlich war, wie klar und mit welchem Fingerspitzengefühl ein
Informatiker uns soziale Feedback-Mechanismen erklärt hat, die ich
eigentlich nicht nur wissen sondern auch selbst beherrschen sollte.
Praktische Hinweise
Auf die Verbesserungsvorschläge für unseren eingereichten Artikel gehe ich noch in einem gesonderten Artikel ein. Hier möchte ich nur einige Punkte auflisten, die nicht nur für mich, sondern auch für LeserInnen meiner Website von Interesse sein können:
- Allen Kelly hat in einem Open Space "Dialog Sheets" vorgestellt, die kollaboratives Arbeiten zu bestimmten Themen fördern sollen. Diese Plakate können von seiner Website bzw. von http://www.dialoguesheets.com nach einer Anmeldung kostenlos heruntergeladen werden. Der Autor bittet allerdings um Feedback. – Eine gute Idee, die ich gerne in meinem Unterricht testen möchte. Wir überlegen uns dabei auch eine Übersetzung in das Deutsche.
- Tim Wellhausen und Andreas Fisser haben einen Beitrag How to write a paper geschrieben, der für AnfängerInnen das Schreiben von Mustern erläutert.
- Claudia Iacob hat sich collaborative Werkzeuge angeschaut und daraus Muster für Webkollaboration herausgezogen (= Pattern mining). In ihrem Beitrag sind einige interessante Werkzeuge beschrieben, die ich bereits gekannt habe (z.B. EtherPad ) aber vor allem solche, die mir bisher unbekannt waren wie z.B. für Grafik: LucidChart, DeTransDraw, NetDraw; für Text: CodoxWord; für Suche: SearchTogether. Leider habe ich nicht alle von ihr erwähnten Programme im Web zum Download gefunden; manche dürften erst experimentell sein und nur über die Autoren oder gar erst in Papierform (als Beschreibung) vorhanden sein.
- Christoph Hahenbauer hat in einem Open Space eine Idee vorgestellt, wie sich das Verständnis von Kräften (Forces) durch eine grafische Darstellung mit verbessern lässt. Er hat dafür das Open Source Tool Graphviz verwendet.
- Mit Christian Köppe haben Christian Kohls, Reinhard Bauer und ich einen neuen, äußerst aktiven und kompetenten Mitstreiter für den Aufbau einer Community von didaktischen Entwurfsmustern gewonnen. Wir haben auf der EuroPLOP in einem Open Space darüber diskutiert, dass wir gezielt weitere Leute ansprechen werden, einen Website zur Sammlung und Koordinierung einrichten wollen und versuchen wollen, für die nächsten EuroPLoP so viele TeilnehmerInnen zu gewinnen, dass wir ein eigener Writers Workshop zu "Educational Pattern" eingerichtet werden kann.