Morgen werden im Rahmen des 4. Lifelong Learning Community-Treffen die Horizon Reports diskutiert. Wir haben diesmal in der Vorbereitung die Gangart des Meeting etwas geändert. Statt – wie bisher – ein oder 2 geladene Vorträge von professoraler Seite als Angelpunkt für die Diskussion zu nehmen, gibt es nun 9 verschiedene kurze Inputs (5-10 Min.) aus den Teilnehmerkreis der MitarbeiterInnen und Doktoratsstudierenden. Die restlichen 60-90 Minuten sind dann der Diskussion gewidmet.
Ich habe es übernommen eine kleine Einführung über das verwendete Datenmaterial zu geben. Die nachfolgende Zusammenstellung stellt praktisch meine eigene inhaltliche Vorbereitung dar und kann auch (ergänzend zum Handout das ich verteilen werde) zum Nachlesen verwendet werden.
New Media Consortium
Als Zugang zu dieser Vorgangsweise haben wir diesmal ein Thema gewählt, das stärker mit den Forschungsinteressen meines Departments verknüpft ist. Es werden neu aufgetauchte Technologien in ihren Auswirkungen auf den Bildungssektor dargestellt. Als gemeinsame Grundlage verwenden wir den Horizon-Report des New Media Consortium (NMC).
Das NMC ist eine internationale Community von ExpertInnen zu Bildungstechnologie (Educational Technology) aus den Bereichen Hochschule, Schule, Museum und (Technologie-)Forschung. Ziel ist es sich über die laufenden Trends aufkommender Technologien, die für den Bildungsbereich relevant sind (oder sein könnten), auf den Laufenden zu halten.
Neben einer Reihe von Events auf nationaler Ebene (Veranstaltungen, Workshops, Foren) ist das NMC vor allem durch die sog. Horizon-Reports, die in den drei Bereichen Hochschule, Schule und Museum jährlich herausgegeben werden, international bekannt geworden.
Horizon Reports
Die Horizon Reports stellen die Forschungsergebnisse der NMC-Gemeinschaft dar und listen für den jeweiligen Bereich jedes Jahr sechs für den Bildungsbereich zukunftsträchtige Technologien auf. Jeweils zwei davon sind aktuell in einigen fortgeschrittenen Institutionen schon im Einsatz und haben daher bereits jetzt bzw. im nächsten Jahr große Auswirkungen. Jeweils zwei weitere Technologien werden in 2-3 und 4-5 Jahren im Bildungsbereich an Bedeutung gewinnen.
Die Berichte sind als PDF unter der weitestgehenden Creative Common Lizenz (nur Namensnennung der Autorenschaft ist notwendig) erhältlich. Sie können daher nicht nur kostenlos heruntergeladen werden, sondern auch weiter gereicht, verteilt, kopiert und sogar adaptiert, ergänzt oder geändert werden. Sie haben immer das gleiche Format: 44 Seiten mit den folgenden Kapitelüberschriften
- Executive Summary: Eine Zusammenfassung der Ergebnisse.
- Key Trends: Es wird eine kurze Einschätzung zu allgemeinen Trends im jeweiligen Bildungsbereich gegeben ohne, dass noch eine besondere technologische Brille aufgesetzt wird.
- Significant Challenges: Es werden (gesellschaftspolitische) Herausforderungen dargestellt, also z.B. (Weiterbildungs-)Anforderung des Lehrpersonals, Implementierungsprobleme, Leitungs- bzw. Führungsprobleme etc.)
- Time-to-Adoption Horizon: One Year or Less. Nach der Beschreibung zweier aktueller Bildungstechnologien und ihrer Einschätzung auf Bildungsbereiche werden Referenzbeispiele angeführt und Literaturhinweise gegeben.
- Time-to-Adoption Horizon: Two to Three Years. Wie oben, nur dass die Technologie erst in 2-3 Jahren an Bedeutung gewinnen wird.
- Time-to-Adoption Horizon: Four to Five Years: Wie oben, nur dass die Technologie wahrscheinlich erst in 4-5 Jahren an Bedeutung gewinnen wird
- The NMC Horizon Project: Hier wird allgemein über den Projektaufbau und der Logitunalstudie berichtet.
- Methodology: Darauf möchte ich weiter unten noch detaillierter eingehen.
- The NMC Horizon Project: [YEAR] Higher Education Edition Advisory Board: Hier wird das ExpertInnen-Team (etwa 40-50 Personen) angeführt, das für den jeweiligen Jahresbericht beratend unterstützend war.
Die Berichte erscheinen in Englisch und auch das Beratungsteam hat eine starke US-Schlagseite. Für den Report aus dem Bereich der Hochschule gibt es neben einer japanischen und chinesischen auch eine deutsche Übersetzung, die das Multimedia Kontor Hamburg GmbH dankenswerterweise übernommen hat. Die starke US-Präsenz ist natürlich historisch begründet und könnte schrittweise durch Zumeldungen in den Beirat gemildert werden. Während beim Hochschulbereich drei deutschsprachige VertreterInnen 2013 im Beirat waren (Frau Helga Bechmann, Projektmanagerin von Multimedia Kontor Hamburg GmbH, Jochen Robes ein Bildungsberater und bekannter (Weiterbildungs-)Blogger sowie der mir nicht persönlich bekannte Rudolf Mumenthaler, Professor für Bibliothekswissenschaft an der Fachhochschule Chur/Schweiz) gibt es im Schulbereich keine VertreterIn aus dem deutschsprachigen Bereich.
NMC ruft immer wieder zu Nominierungen auf. Es gibt dazu ein eigenes online Formular. – Wäre das nicht eine Aufgabe, wo wir uns aus der Community der BildungstechnolgInnen stärker engagieren sollten?
Methodologie
Nicht nur die jährlichen Berichte sind frei zugänglich, sondern auch der gesamte Diskussionsprozess, wie es zu den sechs ausgewählten Technologien kommt, ist im Internet in einem Wiki dokumentiert und kann verfolgt werden.
- Wiki Hochschule: http://horizon.wiki.nmc.org/
- Wiki Schule: http://k12.wiki.nmc.org/
- Wiki Museum: http://museum.wiki.nmc.org/
Im Prinzip handelt es sich einen leicht modifizierten Delphi-Prozess: Das Beratungsgremium (Advisory Board) beginnend mit einer Literaturrecherche und diskutiert ihre Ergebnisse online. Dieser Prozess wird durch eine über die Jahre zusammengestellte Liste von hunderten RSS-Feeds zu relevanter Literatur unterstützt. Die Diskussion fokussiert dabei auf 4 Fragen:
- Welche der angeführten Technologien werden in den nächsten fünf Jahren den größten Einfluss auf das betrachtete Feld (Hochschule, Schule, Museum) haben?
- Fehlen Technologien, die bedeutend sein könnten?
- Welche Trends lassen sich für die nächsten 5 Jahre erkennen?
- Welche Herausforderungen im Bereich Forschung, Lehre und Lernen lassen sich für die nächsten 5 Jahre erkennen?
Danach beginnt die Delphi-Abfrage: Die 40-50 Beiratsmitglieder reihen die Vorschläge und schätzen auch den Zeitrahmen ein (0-1, 2-3 oder 4-5 Jahre) wo die betreffende Technologie so an Bedeutung gewinnt, dass sie "Mainstream", d.h. zu einem allgemeinen Trend wird. Als Kriterium für "Mainstream" wird die Einschätzung genommen, dass mindestens 20% der Institutionen des jeweiligen Bereichs (Hochschule, Schule, Museum) diese Technologie einschätzen. Diese 20%-Grenze basiert auf den Überlegungen von Geoffrey A. Moore, einem Technologie-Konsulenten, der verschiedene Bücher zum Thema publiziert hat: Crossing the Chasm: Marketing and Selling Disruptive Products to Mainstream Customers; Inside the Tornado: Strategies for Developing, Leveraging, and Surviving Hypergrowth Markets. Moore bezieht bei seinen Überlegungen auf die Kommunikationstheorie und dem Innovationsbegriff von Everett Rogers.
[Ich habe zu diesem Thema bereits selbst auch schon publiziert und die Roger'sche Innovationstheorie erläutert: Vergleiche dazu meinen gemeinsam mit Heike Welte geschriebenen Beitrag: Unterricht mit Notebooks - Ein Experiment in Schulentwicklung. (Hier direkt zum Dowload als ; 1,3 MB)]
Es wird nun nach dem Ranking eine Short-List erstellt, die für jeden Zeitbereich vier Technologien (also insgesamt 12, d.h. doppelt soviel wie im Endbericht) auflistet. Für jede dieser 12 Technologien wird im Format des Endberichts die Argumentation zusammen gestellt. Eine weitere Delphi-Abfrage schränkt dann weiter auf die letztlich publizierten sechs Technologien ein. Details zur praktischen Durchführung können den jeweiligen Wikis, die ich oben angeführt habe, entnommen werden.
Bildungstechnologien bewerten – Forschungsaspekte
Die Webseite des NMC zeigt die sehr vielseitigen Aktivitäten dieser Community. Bekannt geworden sind aber vor allem die Horizon Reports, die inzwischen von über 100 Ländern und vielen (internationalen) Organisationen als Diskussionsgrundlage verwendet werden. Und hier wiederum ist nicht das ganze Material und der Prozess der Diskussion bekannt, sondern nur die Endfassung. Ich halte aber (für uns BildungstechnologInnen) die nähere Beschäftigung auch mit dem Diskussionsprozess aus einer ganzen Reihe von Argumenten für sinnvoll und wichtig:
- Dass jeweils nur 2 Technologien für den jeweiligen Zeithorizont publiziert werden ist eine künstliche Beschränkung und kann zu einem verfälschten Bild und damit zu einer problematischen Einschätzung führen. Es ist daher durchaus interessant, sich auch die anderen Technologien, die es nicht in den Endbericht geschafft haben, anzuschauen.
- Meistens wird nur der jeweilige (End-)Bericht, der einem selbst für seine eigene Arbeit am wichtigsten erscheint, gelesen. Am bekanntesten ist der Hochschulbericht, was sich auch dadurch zeigt, dass es da bereits drei Übersetzungen in Landessprachen gibt. Aus forschungsmethodologischen Gründen halte ich aber auch den Vergleich der drei Bereiche, deren unterschiedliche Diskussiondynamik interessant. Ganz abgesehen davon, dass die Datenbasis inklusive der Anzahl von ExpertInnen größer und damit vielleicht nicht nur repräsentativer sondern auch differenzierter und vielschichtiger ist.
- Ein weiterer wichtiger Forschungsaspekt wäre es aus meiner Sicht auch über die Effizienz und Treffsicherheit der Methodik nach zu denken. Dazu könnten (retrospektive) Studien der früheren Jahre durchgeführt werden. Das betrifft nicht nur die (damals) vorhandene Datenbasis, der (dynamisch und immer auch mit Zufällen behaftete) Diskussionsprozess, sondern auch die Einschätzung, inwieweit sich die Trendabschätzungen auch tatsächlich realisiert haben.
Alles interessante Fragen, denen ich gerne näher treten würde. Aber wenn ich mir die Fülle meiner Verpflichtungen anschaue, dann ist dies wohl ein unrealistischer Wunsch. Aber vielleicht findet sich jemand, der oder die das in Rahmen eines von mir betreuten Dissertationsprojektes untersuchen möchte?