Feedback-Arten für Online-Lernen

Heureka! Seit nunmehr über zwei Jahren überlege ich mir, wie ich die Entwicklung, die ich mit "Taxonomie von Unterrichtsmethoden" begonnen habe, fortsetzen kann. Mit einer Untersuchung zu Feedback-Arten für Online-Lernen habe ich nun – völlig unerwartet – diesen theoretischen Durchbruch in meinen Forschungsanstrengungen erzielt. Der (recht lang geratene) Beitrag erklärt die neue Vorgangsweise und zieht erste Schlussfolgerungen.

Ich verweise auch auf praktische Experimente in einem Moodle-Kurs und biete zusätzlich Informationsmaterial zum Download an (Moodle-Buch als PDF mit 85 Seiten). Außerdem gibt es einen vertonten Pecha Kucha Vortrag, wo ich in 400 Sekunden den nachfolgenden Beitrag zusammenfasse. Dieser Vortrag ist auch auf SlideShare erhältlich.

Mit einer Untersuchung zu Feedback-Arten für Online-Lernen habe ich einen unerwarteten theoretischen Durchbruch in meinen Forschungsanstrengungen erzielt. Dieser Beitrag versucht dies nicht nur zu erklären, sondern auch zu belegen.

Um es gleich zu Beginn vorweg zu nehmen: Die nachfolgenden theoretischen Überlegungen können in einem frei zugänglichen Moodle-Kurs "Feedback-Arten von Online-Lernen" (abgekürzt: FAOL) praktisch exploriert und nachvollzogen werden. Zum Moodle-Kurs gibt es außerdem auch ein Moodle-Buch mit 85 Seiten, das als PDF hier bezogen werden kann. Außerdem gibt es einen vertonten Pecha Kucha Vortrag, wo ich in 400 Sekunden den nachfolgenden Beitrag zusammenfasse. Dieser Vortrag ist auch auf SlideShare erhältlich.

Wie geht es nach der "Taxonomie" weiter?

Seit über zwei Jahren überlege ich mir, wie ich die Entwicklung, die ich mit "Taxonomie von Unterrichtsmethoden" begonnen habe, fortsetzen kann. Mir war klar, dass ich die darin vorgestellten theoretischen Überlegungen vor allem auf ihre praktische Umsetzung weiter entwickeln muss. Nur so kann ich der teilweise falschen Rezeption der "Taxonomie" – dass nämlich mein Buch bloß ein Vorschlag für eine inhaltliche Gliederung von Unterrichtsmethoden darstellt – entgegen wirken.

In der „Taxonomie von Unterrichtsmethoden“ habe ich eine umfassende theoretische Modellierung für das didaktische Design von Lernaktivitäten und Unterrichtsszenarien vorgelegt. Mein Ziel war es „einen konzeptionellen Rahmen zur Gliederung, Beschreibung und Entwicklung von Unterrichtsmethoden“ zu entwickeln (Baumgartner 2014:329). Das Buch hat jedoch einen entscheidenden Nachteil: Es fehlt dem theoretischen Entwurf eine prozessuale (schrittweise) Umsetzung für den alltäglichen Gebrauch, d.h. für die Praxis der Unterrichtsgestaltung.

Ich glaube, dass ich nun endlich eine Methode gefunden habe, wie meine theoretischen Überlegungen praktisch relevant werden können. Diesen Durchbruch habe ich im Rahmen einer umfassenden Untersuchung von Feedback-Formen für Single- und Multiple-Choice Tests erreicht. Es ist ein dreistufiger Prozess, den ich dabei zu verfolgen habe:

  1. Taxonomie: Entwickle einen taxonomischen Rahmen für jeder der im Buch erwähnten 26 didaktischen Dimensionen. Das Ergebnis ist eine Liste von Aspekten, die als Unterscheidungsmerkmale für grundsätzlich verschiedene Arten der jeweiligen Dimension gelten können.
  2. Modell: Untersuche inwieweit diese verschiedenen Aspekte in realen fortgeschrittenen Software-Produkten bereits implementiert bzw. modelliert worden sind. Das Ergebnis ist eine zweite Liste, die relevante Software-Funktionen in ihrem jeweiligen taxonomischen Bezug darstellt.
  3. Muster: Entwickle praktische Einsatz-Szenarien durch die systematische Variation der Merkmale und implementiere sie mit den in der Software vorhandenen Funktionen. Das Ergebnis ist eine Konfiguration von verschiedenen Software-Einstellungen, um das gewünschte Muster praktisch zu realisieren.

Feedback-Arten für Online-Lernen

Am Beispiel der Feedback-Arten für Online-Lernen möchte ich diesen Drei-Schritt praktisch illustrieren:

Schritt 1: Aspekte von Feedback und ihre Ausprägungen

Meine Untersuchung hat sechs verschiedene Unterscheidungsmerkmale ergeben. Das ist weit mehr als die zwei Kriterien (Zeit und Art), die ich in der "Taxonomie" für die didaktische Dimension "Feedback" bzw. für das didaktische Prinzip "feedback-unterstütztes Lernen" dargestellt habe:

  1. Ebene: Worauf bezieht sich das Feedback? Es werden vier Ebenen unterschieden: Quiz, Frage, Antwort, Antwortversuch.
  2. Art: Wie spezifisch ist das Feedback? Ich unterscheide zwischen pauschal und konkret. Die Anwendung dieser Unterkategorien muss in Verbindung mit der Ebene des Feedback betrachtet werden. Ein Feedback zu einer einzelnen Frage ist immer konkreter als eine Rückmeldung zum gesamten Quiz, bezogen auf die Frage kann aber das Feedback sehr allgemein (pauschal) ausfallen: z.B. richtig, teilweise richtig oder falsch.
  3. Zeitpunkt: Findet das Feedback unmittelbar nach der Interaktion der Lernenden statt oder ist es ein verzögertes Feedback, weil es zu einem späteren Zeitpunkt (z.B. zu Quiz-Ende) präsentiert wird?
  4. Evaluationsart (Wertung): Hier unterscheide ich summativ (= bilanzierend oder abschließend) und formativ (= um den weiteren Lernprozess anzuregen bzw. zu steuern).
  5. Inhalt: Das bezieht sich natürlich nicht auf das konkrete Thema der Rückmeldung, sondern auf grundsätzlich unterschiedliche Strategien der Rückmeldung. Wir unterscheiden Bewertung, Erklärung, Empfehlung, Hinführung und Perspektive. Unter "Perspektive" fassen wir solches Feedback auf, das Anstöße zum Umdenken von Strukturen gibt. Dazu gehören z.B. meta-kognitive Reflexionen über Wissensstrukturen oder ein Wechsel der Perspektive bzw. Betrachtungsweise.
  6. Häufigkeit (Anzahl): Ist Feedback nur einmal vorgesehen, oder sind mehrere bzw. beliebig viele Versuche mit entsprechenden Feedback möglich?

Schritt 2: Feedback-Arten, die in der Software vorgesehen sind

Ich habe Moodle als fortgeschrittenen Software-Beispiel untersucht. Weitere Untersuchungen wie z.B. zu Ilias (gemeinsam mit Christian Kohls) oder der WordPress-Erweiterung WatuPRO sind geplant.

Bei Moodle habe ich sechs verschiedene Modelle für Feedback-Funktionen gefunden:

  1. Gesamt-Feedback: Es bezieht sich auf den gesamten Test und wird präsentiert nachdem der Test beendet wurde.
  2. Allgemeines Feedback: Ist eine Rückmeldung, die bei jeder beantworteten Frage gegeben wird und zwar unabhängig davon, ob die Antwort richtig oder falsch ist.
  3. Spezifisches Feedback: Ist eine Rückmeldung, die für jeder einzelne Antwortmöglichkeit vorgesehen wird.
  4. Kombiniertes Feedback: Es wertet die Antwortmöglichkeiten (richtig, teilweise richtig oder falsch) aus und gibt für jede dieser Kombinationen entsprechendes Feedback.
  5. Hinweisendes Feedback: Wenn mehrere Antwortversuche erlaubt sind, dann wird mit dieser Art der Rückmeldung eine Hilfestellung bei einer falschen oder teilweise richtigen Antwort gegeben.
  6. Selbsteinschätzung: Diese Art von Rückmeldung bezieht eine auf Selbsteinschätzung basierende Gewissheitsvermutung auf die ausgewertete Antwort (richtig, teilweise richtig, falsch) und berechnet darauf basierend entsprechende Gutschriften oder Abzüge.

Schritt 3: Feedback-Muster für Moodle

Ich habe nun die taxonomischen Aspekte von Feedback (Schritt 1) so variiert, dass praktische Anwendungsfälle entstanden sind. Danach habe ich die dafür notwendigen Einstellungen in Moodle vorgenommen. Die Folge war ein erster Wurf von zehn Feedback-Mustern, die in Moodle konfiguriert worden sind:

  1. BEWERTUNG: Bilanzierende Auswertung zu Test-Ende, z.B. Einstufungstest.
  2. KURS-EMPFEHLUNG: Auswertung zu Test-Ende wird mit Empfehlung zu weiteren Kursverlauf kombiniert.
  3. QUIZ-EMPFEHLUNG: Auswertung zu Test-Ende wird mit Empfehlung für das nochmalige Absolvieren des Test kombiniert.
  4. TEST-ERKLÄRUNG: Die Auswertung zu Test-Ende wird mit erklärendem Feedback ergänzt.
  5. QUIZ-ÜBUNG: Unbenotete Übungen mit unmittelbares Feedback nach jeder Antwort.
  6. TEST-LERNEN: Der Test simuliert eine Prüfung, bewertet aber nicht. Zu Test-Ende gibt es umfangreiches Feedback.
  7. QUIZ-LERNEN: Unmittelbares Feedback nach der Antwort mit mehreren Versuchsmöglichkeiten pro Frage, keine Benotung.
  8. TRIAL-AND-ERROR: Suchen nach der richtigen Antwort mit der Methode von Versuch-und-Irrtum.
  9. ANTWORT-HINFÜHRUNG: Mehrere Hinweise, die – zunehmend in ihrer Deutlichkeit – jeweils nach falschen Antwortversuchen präsentiert werden und zur richtigen Antwort hinführen sollen.
  10. PERSPEKTIVE: Mit Selbsteinschätzung wird abgefragt, wie sicher es ist, dass die gegebene Antwort richtig ist. Das daraus errechnete Feedback gibt Aufschluss inwieweit die Perspektive zur Sicherheit des eigenen Wissensstands gerechtfertigt ist.

Erste Schlussfolgerungen dieser Vorgangsweise

Es ist äußerst instruktiv zu sehen, dass die Umsetzung des in der "Taxonomie von Unterrichtsmethoden" dargelegten theoretischen Rahmens nicht nur zu praktischen Anwendungsfällen führt, sondern umgekehrt auch die didaktische Theorie weiter entwickelt. Auch wenn ich mich mit diesen Konsequenzen noch näher beschäftigen muss, soll die nachfolgende Liste einen ersten Eindruck möglicher Schlussfolgerungen präsentieren:

  1. Modell/Muster und Variante besser abgrenzbar: Die in der "Taxonomie" diskutierte Frage, wann es sich um ein neues Modell bzw. ein neues Muster handelt, und wann bloß um eine Variation derselben Unterrichtsmethode, ist nun klarer geworden: Das entsprechende (Feedback-Modell) Modell motiviert ein in der Praxis bewährtes Anwendungsmuster. Im Muster können einige (nicht zentrale) Aspekte variiert werden, ohne dass es großen Einfluss auf das Anwendungsszenario hat. Ob beispielsweise bei der QUIZ-ÜBUNG die erreichte Punkteanzahl für jede Antwort zusätzlich angezeigt wird oder nicht, ändert nichts am grundsätzlichen Charakter dieses bewährten Musters.
  2. Didaktischer Spielraum wird erhöht: Weil sowohl die taxonomischen Aspekte als auch die Software-Einstellungen systematisch variiert werden können, entsteht eine weitaus höhere Anzahl an Mustern, als dies bei der theoretischen Analyse zu erwarten gewesen wäre. Die technologische Unterstützung des Lernprozesses lässt damit neue Anwendungsmuster entstehen, die es vorher nicht gab. So wäre beispielsweise PERSPEKTIVE, das Feedback nach eine komplexen Kalkulation berechnet, ohne technische Unterstützung kaum praktisch realisierbar.
  3. Bewertung bildungstechnologischer Instrumente aus didaktischer Sicht: Weil bestimmte Funktionen in verschiedenen Software-Systemen unterschiedlich implementiert sind, erweitert der funktionale Vergleich von Software den Möglichkeitsraum didaktischer Gestaltung. Damit wird gleichzeitig die didaktische Bewertung bildungstechnologischer Instrumente unterstützt. Das hilft einerseits Anwender/innen, die für ihren didaktischen Zweck geeignete Software auszuwählen und unterstützt Programm-Entwickler/innen andererseits ihr Produkt in didaktischer Hinsicht funktional zu verbessern.
  4. Vorteil des Muster-Ansatzes wird deutlich sichtbar: Das kann gerade am Beispiel der Feedback-Formen in Moodle gezeigt werden. Wer hat denn wirklich die enorme Vielfalt der vielen Einstellungen in ihrem komplexen Zusammenspiel verstanden und vor allem dann auch verwendet?!?! Zum Unterschied von den vielen einzelnen Beschreibungen der Funktionalitäten des Software-Pakets in Hilfeseite, Leitfäden oder Videos reduzieren Muster-Beschreibungen die Komplexität derart, dass selbst Anfänger/innen fortgeschrittene Anwendungsszenarien umsetzen können.

Didaktische Vielfalt

Gerade dieser vierte und letzte Punkt ist es, der anschaulich zeigt, wie zwei meiner Forschungsstränge (Taxonomie und Muster-Ansatz) zusammengeführt werden und synergetische Wirkung zeigen. Die theoretische Komplexität und Abstraktheit taxonomischer Gliederungen wird durch die Beschreibung von Anwendungsmustern gezähmt und praktisch relevant gemacht, d.h. umgesetzt.

Die häufig geäußerte Kritik, dass meine "Taxonomie von Unterrichtsmethoden" schwer verständlich und kaum praxisrelevant ist, wird nun durch ein umfassendes aber detailliertes Forschungsprogramm aufgehoben. Die Vielzahl von Merkmalen in der Taxonomie zeigen den Möglichkeitsraum an, der untersucht werden muss. Die schier unfassbare Kombination von hunderten, ja tausenden didaktischen Aspekten, kann mit dem Fokus auf bewährte Anwendungsfälle auf praktisch nutzbare Muster (Konfigurationen) eingeschränkt und handhabbar gemacht werden.

Teilontologie: Aufgabe leicht modifiziert nach Meder (2006:75)
Teilontologie: Aufgabe leicht modifiziert nach Meder (2006:75)

So zeigt beispielsweise die obige Abbildung deutlich, wie klein der Raum ist, der  bezüglich einer didaktischen Gestaltung von Feedback-Arten für Online-Lernen erst erforscht worden ist. Und das wiederum ist erst eine einzige der von mir in der "Taxonomie" aufgelisteten 26 didaktischen Dimensionen!

Anhang

Feedback-Arten für Online-Lernen: Das Moodle-Buch zum Kurs: 85 Seiten, 4.6 MB
Titel: Feedback-Arten-fuer-Online-Lernen_Das-Moodle-Buch (2784 clicks)
Caption: Feedback-Arten für Online-Lernen: Das Moodle-Buch zum Kurs: 85 Seiten, 4.6 MB
Filename: Feedback-Arten-fuer-Online-Lernen_Das-Moodle-Buch.pdf
Size: 4 MB

Von Peter Baumgartner

Seit mehr als 30 Jahren treiben mich die Themen eLearning/Blended Learning und (Hochschul)-Didaktik um. Als Universitätsprofessor hat sich dieses Interesse in 13 Bücher, knapp über 200 Artikel und 20 betreuten Dissertationen niedergeschlagen. Jetzt in der Pension beschäftige ich mich zunehmend auch mit Open Science und Data Science Education.

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