Dieser Artikel stellt nicht nur Aspekte meiner persönlichen Lernstrategie zusammen. Er ist vor allem als Start für meine neuen Artikelserie zu Lernerfahrungen gedacht (Siehe dazu meinen letzten Beitrag). Ich möchte damit meine persönlichen Präferenzen beim Lernen darlegen.
Mit diesem einleitenden Beitrag möchte ich bereits zum Start der neuen Serie deutlich machen, wonach ich mich bei der Bewertung meiner persönlichen Lernerfahrungen ausrichte. Was sind meine Kriterien, nach denen ich die von mir besuchten Kurse und Tutorials beurteile?
Lernstrategie: Ein Fachgebiet mit mehreren Tutorials lernen
Wenn ich Neues für mich lerne, dann neige ich dazu, denselben Inhalt mit unterschiedlichen Materialien zu wiederholen und zu festigen. Derselbe Inhalt wird unterschiedlich erklärt, in einer anderen Reihenfolge, mit anderen Schwerpunkten. Multiple Repräsentationen helfen mir mein Bild von der zu lernenden Sache nicht zur zu festigen, sondern auch auszubauen und abzurunden.
Es kommt allerdings auch vor, dass ich denselben Stoff wiederhole. Dann muss dazu aber meistens ein längerer Zeitraum vergangen sein (1-2 Jahre). Diese Wiederholung wirkt dann für mich auf der Folie des in der Zwischenzeit neu Gelerntem, verschränkt Altes mit Neuem und ich gewinne manchmal damit völlig neue Einsichten.
Außerdem führt das Durcharbeiten mehrerer Tutorials zum gleichen Thema automatisch zu einem didaktischen Vergleich. Ich lerne verschiedene Strategien der Vermittlung kennen und in ihren Wirkungen auf meinen eigenen Lernweg beurteilen. Dabei geht es gar nicht bloß um ein besser oder schlechter: Manchmal merke ich später, dass gewisse Tutorials vielleicht gar nicht so gut sind, trotzdem bin ich ihnen aber dankbar, weil sie mir bei meinem damaligen Wissenstand sehr geholfen haben und mich über die ersten Hürden gehoben haben.
Das Durcharbeiten unterschiedlicher Tutorials hilft mir einerseits dahinter liegende didaktische Strategien besser wertzuschätzen und andererseits machen sie mich darauf aufmerksam, wo die großen Verständnishürden bzw. Schwierigkeiten liegen. Dieses Wissen unterstützt mich dann – selbst mit meinem unausgegorenem Halbwissen – selbständig nach weiteren für mich wichtigen Inhalten bzw. Vermittlungsformen zu suchen.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich bearbeite die Tutorials nicht gleichzeitig, sondern zeitlich hinter einander. Das heißt ich lasse mich jeweils für eine gewisse Zeit voll und ganz auf ein einzelnes Tutorial ein. Dabei schließe ich es jedoch nicht unbedingt vollkommen ab, sondern beende häufig nur einen oder einige größere Module. Ich suche dann nach weiteren Tutorials zu genau denselben Inhalten, um danach entweder eine weiteres Training zu suchen oder zum ersten Tutorial zurück zu kehren. So arbeite ich mich – wie bei einer Schraubenwindung – langsam in der Aneignung meiner Kompetenzen voran.
Lernstrategie: Strukturen und eine klar empfohlene Abfolge
Es mag vielleicht überraschen, wenn ich mich ganz vehement für eine vorgegebene Struktur des Lernmaterials und eine empfohlene Reihenfolge der einzelnen Lernschritte einsetze. Ich möchte einfach von den Erfahrungen der Fachexpert*innen profitieren und nicht selbst mir dilettantisch einen Weg durch das für mich noch undurchschaubar Dickicht suchen müssen.
Ich verabscheue Exkurse, die keine sind, weil man sie für das weitere Verständnis nicht überspringen kann. Noch mehr aber hasse ich es, wenn die Freiheit des Lernenden so hoch geschrieben wird, dass es nicht nur beliebig viele Einstiegspunkte, sondern auch mehrere Parkours durch das Lernmaterial gibt.
Exkurs (kann übersprungen werden 🤪)
Ein besonders prominentes Beispiel für schlechte Tutorials in dieser Hinsicht war für mich bis Mitte 2020 die ansonsten ausgezeichnete und unverzichtbare Mozilla Seite zu Webtechnologien (MDN). Der Referenzteil ist für alle Entwickler*innen aber auch für Lernende DIE Seite zum Nachschlagen und Konsultieren der Feinheiten. Die Tutorials hingegen waren zumindest bis Juni 2020 undurchsichtig aufgebaut, redundant, in ihrer Struktur unklar und für mich – trotz mehrfacher Anläufe – nicht besonders nützlich. Die vielen Einstiegspunkte, Querverweise, Entscheidungen, wie und wo es weitergeht, hatten mir die Lernerfahrungen vermiest und mich letztlich zum Aufgeben gezwungen. Dabei sind die einzelnen Artikel gut durchdacht und auch didaktisch gut aufgebaut. Aber es fehlte an einem durchgängigen Gesamtkonzept, das mich an der Hand nimmt, mich leitet und mir hilft meine Kompetenzen schrittweise aufzubauen.
Inzwischen – wohl durch entsprechendes Feedback vermittelt – wurde eine stärkere Strukturierung durch ausgeschilderte "Pathways" vorgenommen.
Here we provide you with a structured course that will teach you all you need to know to become a front-end web developer.
Front-end web developer
Aber ich finde das Curriculum immer noch schlecht strukturiert: Einerseits weil man sich die entsprechenden Inhalte selbst zusammensuchen muss und andererseits, weil die einzelnen Teile offensichtlich schon vorher unabhängig voneinander geschrieben wurden. Es gibt keinen stringenten Aufbau bezüglich des gesamten Curriculums (Pathways). Es fehlt auch eine Darstellung, wieweit man im Curriculum bereits fortgeschritten ist.
Lernstrategie: Fortschrittsanzeigen
Ich gebe es zu: Für mich ist es auch sehr motivierend, wenn ich sehe, wieweit ich in der Lektion schon bin und welche Teile ich im Curriculum bereits erfolgreich absolviert habe. Das kann von einer einfachen Leiste mit Meilensteinen, Prozentangaben bis hin zu Badges reichen.
Kleinere, kürzere Einheiten bevorzuge ich gegenüber großen, langen Durststrecken. Am meisten motiviert es mich, wenn die unterste curriculare Einheit innerhalb eines gewöhnlichen Tages in etwa 4, max. jedoch in 6 Stunden zu absolvieren ist. Die nächst höhere curriculare Einheit (Kapitel, Sektion), die mit einem neuen inhaltlichen Schwerpunkt verbunden ist, sollte nicht weiter als 2 bis max. 4 Wochen (1 Monat) entfernt sein.
Das entspricht in den Begriffen der von mir im Plädoyer für didaktische Vielfalt vorgeschlagenen Taxonomie: Didaktisches Ensemble und didaktischer Modul. Ein didaktisches Szenario im Präsenzunterricht (Unterrichtsstunde) würde hingegen etwa einer längeren/ausführlicheren Webseite entsprechen. (siehe Taxonomie von Unterrichtsmethoden.)
Es mag vielleicht verspielt klingen, aber mir bereiten gewonnene Badges oder Zertifikate Freude, auch wenn ich sie beruflich nicht brauche. Ich nehme mir dann oft vor, über meine Lernerfahrungen zu berichten und diese "Auszeichnungen" auf meinem Blog zu veröffentlichen. Diesem Vorsatz habe ich aber erst in ganz wenigen Ausnahmen erfüllt. (siehe z.B. meine Zertifikate von einem Coursera MOOC)
Punktegewinne, die weder auf ein zu erreichendes Ziel ausgerichtet sind (also z.B. wenn es keine festgelegte maximal zu erreichende Punktezahl gibt) und auch sonst keine Vorteile bringen (z.B. Badges) finde ich unnötig.
Auch die als Gamification so hochgelobten Leaderboards haben für mich keine motivierende Wirkung. Mir ist es ziemlich egal, wie ich im Verhältnis zu anderen Lernenden abschneide. Mir macht Lernen aus intrinsischer Motivation heraus Spass. Wenn ich einen Zusammenhang verstehe und mich über eine AHA-Erlebnis freue, geht für mich die Sonne auf 🌞😎.
Lernstrategie: Üben, üben und nochmals üben
Ich werde zunehmend ungeduldig, wenn eine Sache nur trocken erklärt wird. Ein Text, der bloß nur erklärt, ist kein Tutorial für mich. Ich verlange nach Hands-On Übungen, nach einem geleiteten praktischen Training, das sowohl Aufgaben mit Lösungen, als auch die dazu notwendigen Erklärungen vorsieht.
Tabellen, Screenshots und Schritt-für-Schritt Anleitungen sind für mich sehr wertvoll. Bei bloßem Audio tue ich mir ganz schwer und auch bei Videos hängt es davon ab, wie sie gemacht werden. Manchmal sind sie mir zu langatmig.
Ich kann bei diesen zeitlich seriell gegliederten Medien wie Audio und Video meistens nicht so leicht – wie etwa beim Lesen – auf die mich interessierende Teile springen. Außerdem fehlt mir die Möglichkeit den Inhalt mit meinen eigenen Gedanken anzureichern. (Eine Reihe von Apps über die ich zu berichten plane, unterstützten gerade diese aktive Verarbeitung durch Anreicherung und sind für mich wichtige Lernwerkzeuge geworden.)
Als erster Einstiegspunkt ist für mich ein Video aber durchaus ok. Das betrifft besonders einen Screencast aber auch ein Video von und mit Personen, die ich entweder persönlich kenne oder die hinter dem Kurs stehen, den ich gerade absolviere. Aber auch dann sollte das Video nicht länger als 10 min sein oder zumindest durch Bookmarks thematisch gegliedert sein.
Besonderes Augenmerk lege ich auf integrierte Lernumgebungen, die nicht bloß eine realitätsferne Laborsituation darstellen, sondern sich echten (Entwicklungs-)Umgebungen zumindest annähern oder sie sogar als Lehrmaterial beinhalten, d.h. ihre Nutzung lehren. Und natürlich sollten diese Werkzeuge möglichst plattformneutral / plattformübergreifend und Open Source sein.
Keine Lernstrategie, aber für mich wichtig: Einmalzahlungen und keine Abopreise
Ich hasse monatliche Subskriptionspreise und lehnen solche Angebote prinzipiell immer ab. Ich will mich in meinen Lernerfahrungen nicht durch ökonomischen Druck zeitlich stressen lassen. Schon gar nicht, wenn ich Themen explorieren und durch andere Tutorials anreichern will.
Natürlich bevorzuge ich kostenlose Angebote, bin aber gerne bereit für tolle Angebote meinen finanziellen Teil beizutragen und zu spenden. Auch da favorisiere ich sporadische Einmal-Zahlungen und keine langfristig angelegten Abos. Eine Ausnahme mache ich manchmal für Preise unter 2 €/Monat oder wenn es sich um Werkzeuge des täglichen Gebrauchs handelt, die ich ständig nutze. Das hat dann aber nichts mit Lernen, sondern eher mit Arbeiten und Produktivität zu tun. Über einige solcher Werkzeuge, die für meine Arbeit essentiell sind, werde ich noch berichten.
Zwar präferiere ich bei Tutorials freiwillige Spendenpläne bin aber durchaus bereits nach einer gewissen Probezeit, wo ich den Kurs testen kann, kommerzielle Angebote auch zu kaufen – allerdings nur dann, wenn es eine Einmalzahlung auf Lebenszeit ist. Ich will mir nicht über die Preisgestaltung vorschreiben lassen, wann ich etwas zu lernen habe.