Das ist das Audioscript für den gleichlautenden Prezi-Vortrag. Die nummerierten Absätze enthalten die Texte für die entsprechenden Folien in der Prezi-Präsentation.
01: Mit dieser Präsentation möchte ich Ihnen einige grundlegende Lerntheorien näher bringen. Auch wenn ich hier nicht direkt über Soft- und Hardware spreche, so ist dieser allgemeine pädagogisch-didaktische Hintergrund für die Gestaltung bildungstechnologischer Lernarrangement ganz wesentlich.
02: Ich starte mit zwei grundlegenden, z.T. sogar provokanten Thesen:
03: Die erste These besagt, dass es keine neutrale Bildungstechnologie gibt. JEDES technologisch unterstütztes Bildungsarrangement implementiert eine Lerntheorie - und zwar ob dies den (Soft- und Hardware)Entwicklerinen bewusst ist, oder nicht! Wenn z.B. eine Software hauptsächlich auf Quizzes in Form von Mehrfach-Auswahlantworten beruht, dann gehen de EntwicklerInnen implizit davon aus, dass Erinnern ein wesentlicher – vielleicht sogar der entscheidende kognitive Prozess beim Lernen darstellt. Wenn hingegen Lernende sich eigene Projekte suchen und realisieren sollen, dann steht ein projektbasiertes Lernen im Vordergrund, das kreative Gestaltungsprozesse mit planenden kognitiven Prozessen in den Mittelpunkt stellt.
04: Oder noch kurz zwei andere Beispiele: Wenn z.b. in einer Bildungssoftware eine bestimmte Funktion versteckt ist, dann schreiben die EntwicklerInnen ihrer Nutzung wenig Wert bei im Lernprozess bei. Oder es wird den Lernenden eine Funktion angeboten, die programmtechnisch leicht zu realisieren ist, dann bedeutet dies noch lange nicht, dass diese Funktion auch didaktisch sinnvoll ist.
05: Die zweite These betrifft den sogenannten „didaktischen Mehrwert“. Unter „didaktischen Mehrwert“ wird ein Setting verstanden, das gegenüber einem anderen Setting in bestimmten Aspekten pädagogisch vorteilhafter ist. Z.B. kann ein Computerprogramm nicht nur Ton (wie z.B Radio) und Bild (wie z.B. TV), sondern auch dynamische Interaktionen (mit der Software, aber mit dem Internet auch mit anderen Lernenden) für das Bildungsarrangement nutzen. Aber Achtung: Ein bestimmter didaktische Mehrwert gilt nicht absolut, immer und überall, sondern ist vom pädagogischen Ziel abhängig.
06: So stellt sich z.B. die Frage: Lässt sich das angepeilte pädagogische Ziel sich mit anderen, z.B. nicht computer-unterstützten Methoden einfacher, schneller, billiger, mit weniger Risiko etc. erreichen? Um z.B. den Umgang mit konflikthaften Situationen zu lernen, ist der Computer nur bedingt geeignet. Es gibt zwar bereits Simulationsprogramme, die nach Videosequenzen eine Entscheidung zu einer bestimmten Situation verlangen, das ersetzt aber noch nicht die zu erlernende Körperhaltung, den Einsatz der eigenen Stimme, Gestik etc.
07: Wenn sich also bestimmte Lernprozesse durch ein Buch, Podiumsdiskussion, Gruppenspiel leichter oder besser erlernen lassen, dann sollten diese althergebrachten bzw. traditionelle Methode auch durchaus genutzt werden. Bildungstechnologie soll NUR dort eingesetzt werden, wo sie einen didaktischen Mehrwert aufweist, der für das pädagogische Ziel gut genutzt werden kann.
08: Wie wird nun aber der didaktische Mehrwert einer bestimmten Methode bestimmt? Worin besteht beispielsweise der didaktische Mehrwert von E-Learning? Diese Frage ist zu allgemein gestellt. E-Learning ist ein Sammelbegriff und umfasst viele unterschiedliche Aktivitäten, beginnend z.B. mit der Internet-Recherche bis hin zur Erstellung eines eigenen E-Portfolios .Es muss z.B. heißen: Worin besteht der didaktische Mehrwert der Methode xy für das angepeilte Lernziel z, insbesondere gegenüber der Lernmethode ab?
09: Die Bestimmung des didaktischen Mehrwerts ist eine komplizierte Frage, die hohes Kenntnisse in Pädagogik und Bildungstechnologie voraussetzt. Wir werden im Zuge des Lehrgangs noch darauf zu sprechen kommen. In meinem Buch „Taxonomie von Unterrichtsmethoden“ habe ich nicht nur die theoretischen Grundlagen für die Ausarbeitung des didaktischen Mehrwerts dargelegt, sondern es gibt in den Kapitel 8 und 10 auch hunderte Beispiele für didaktischen Mehrwert.
10: Kehren wir aber nach diesem Exkurs zu unserem eigentlichen Hauptthema den Lerntheorien zurück.
11: Ich werde in den kommenden Folien drei wesentliche Lernparadigmen darstellen. Das mag einige von Ihnen überraschen, weil es Bücher zu sehr vielen unterschiedlichen Lerntheorien gibt. Vielleicht ist meine Einteilung etwas grob, Holzschnitt-artig aber dafür gut unterscheidbar und zu merken. Der entscheidende Punkt von dem ich ausgehe: Welche Vorstellung von der Funktionsweise unseres Hirns steckt hinter dem jeweiligen Lernparadigma? Und unter diesem zentralen Aspekt unterscheide ich zwischen Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus.
12: Der Behaviourismus war bis in die späten 50-ziger Jahre das zentrale pädagogische Lernparadigma. Er war geprägt von der Vorstellung, dass wir nicht die internen Prozesse des Hirns analysieren können, es also eine Black Box betrachten müssen und wir uns daher auf die Untersuchung der Beziehung von Input zu Output konzentrieren müssen. Salopp gesagt, war es Behavioristen egal was da konkret im Gehirn vorgeht, sie haben sich statt dessen auf die Steuerung des Verhaltens verlegt. Das geschah durch gezieltes externes Feedback in Form von Belohnung oder Gratifikation und Bestrafung oder Sanktion. Aus ethischen Gründen erfolgt dies heute nicht mehr durch Stromstöße oder Faustschläge bzw. deren Vermeidung, wenn das Verhalten gewünscht war. Heute werden stattdessen das Verhalten durch externes Feedback wie schlechte Noten, Punktabzüge, Kritik, rotes Lämpchen etc. bzw. gute Noten, Punkte oder neuerdings Badges, Lob oder grünes Lämpchen gesteuert.
Behaviouristen haben Umgebungseinflüsse nicht geleugnet, sie aber bloß als intervenierende Variablen betrachtet, die möglich ausgeschaltet bzw. konstant gehalten werden müssen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass es sich um externes Feedback handelt, d.h. das Feedback hat keinen intrinsischen Zusammenhang mit den objektiven durch das Feedback bewerteten Prozessen. Das Feedback wird willkürlich von außen gesetzt und begründet sich in einer Machtkonstellation. Der Lehrperson wird kraft ihres Amtes die Autorität zugesprochen zu entscheiden, was als falsch oder richtig zu gelten hat, was gewünscht oder nicht gewünscht wird.
Ich möchte darauf verweisen, dass dieses Lernparadigma durchaus nicht Geschichte ist: Abgesehen davon, dass dieses Paradigma erkenntnistheoretisch teilweise wieder an Boden gewinnt, z.B. wenn mächtige Personen/Institutionen bestimmen was Fake-News sind und was nicht; oder wenn der Kreationismus in USA aber auch in Ungarn wieder an Boden gewinnt. Kreatiionismus ist die Auffassung, dass unser Universum, das Leben und wir Menschen von Gott erschaffen wurde und damit die wissenschaftliche Evolutionstheorie abgelehnt wird. Davon mal abgesehen, gibt es durchaus Aspekte didaktischen Mehrwert im Behaviorismus, z.B. wenn mit Drill & Practice-Programmen bestimmte Kenntnisse oder Verhaltensweise antrainiert bzw. automatisiert werden. Ich möchte daher diese Art von Lernprozessen nicht komplett ablehnen. Weil aber alleine das Wort „Behaiorismus“ wie eine Schlagkeule wirkt (wer will heute schon Behaviorist sein?), so verwende ich in Zukunft für diesen Lernparadigma den neutralen Begriff „Lernen I“ verwenden.
13: Ich setze nun fort mit dem zweiten der drei Lernparadigmen: den Kognitivismus.
14: Der Kognitivismus hat sich – z.T. als Gegenströmung zum Behaviorismuis – Anfang der 60er-Jahre zu entwickeln begonnen, seine Blütezeit hat er in den 80- bzw. 90er-Jahren erlebt und hat bis heute immer noch große Bedeutung. Das liegt vor allem daran, dass er – zum Unterschied vom Behaviorismus – durchaus an der Erforschung der inneren Lernprozesse interessiert ist. „Kognition matters“, Das Gehirn ist nicht als Black Box zu sehen, sondern wir können seine Funktionsweise mit den Mitteln moderner Wissenschaft erforschen.
Allerdings können wir dies nur in indirekter Weise tun: Wir können zwar in das arbeitende Hirn durch Computertomographie hineinschauen, aber wir sehen nur Areale feuernder Neuronen. Wir können nicht hineingreifen und etwa eine gute Idee herausgreifen und in ein anderes Hirn verpflanzen. Insofern ist auch der Kognitivismus bloß auf die Relation von Input zu Output beschränkt. Allerdings mit einem ganz wesentlichen Unterschied: Es gibt kein externes, sondern durch den kognitiven Prozess modelliertes Feedback. Wir können z.B. durch Zeitintervalle bei Antwortverhalten, unterschiedliche Lernzeiten bei unterschiedlichen Lernmethoden, sogar – wie Tversky & Kahnemann nachgewiesen haben – durch die Größe der Pupille auf bestimmte Verarbeitungsprozesse rückschließen. Ein konkretes Beispiel: Durch Millers berühmte Arbeit „The magical number seven“ wissen wir, dass sich Menschen zwischen 5 - 9 – also im Durchschnitt etwa 7 – Wissenseinheiten schnell und langfristig merken können. Das hat eine ganz praktische Anwendung: Statt sich eine Telefonnummer Ziffer für Ziffer zu merken (jede Ziffer steht dann für eine Wissenseinheit) merken wir sie am Besten z.B. in Zweier-, Dreier- oder Fünfer-Einheiten. Die Wissenseinheit ist dadurch größer geworden und die ganze Telefonnummer passt dann in die magischen 7 Einheiten hinein.
Der Kognitivismus hat einen engen inhaltlichen Zusammenhang mit der Computertechnologie. Sein rasanter Aufstieg ist mit dem Siegeszug des Computers zu verknüpft. Die Grundlage für diese Verbindung ist eine vermutete Strukturgleichheit oder Isomorphie: Das Computer ist eine informationsverarbeitende Maschine. Auf dieser abstrakten Ebene ist er dem Gehirn gleich: Auch das Gehirn verarbeitet Informationen.
Aus dieser Gleichsetzung nähren sich alle Spielarten der künstlichen Intelligenz. Das eine Extrem wird von der „harten“ KI mit der Grundaussage geprägt: Das Gehirn ist ein Computer, um es verstehen (und nachbauen) zu können, müssen wir „nur“ sein Programm entschlüsseln lernen - oder aber ein anderes, „intelligent“-äquivalentes Programm entwickeln. Soft- und Wetware funktionieren nach den gleichen Strukturprinzipien. Das andere Extrem in den Kognitionswissenschaften ist die „weiche“ KI: Wir können den Computer als methodologisches Instrument nutzen, um das Gehirn besser zu verstehen. Wenn wir aber Ergebnis-ähnliche Prozesse simulieren, heißt das noch lange nicht, dass wir die Funktionsweise des Gehirns entdeckt haben. Eine Sonnenuhr und eine digitale Armbanduhr zeigen zwar beide die Zeit an, funktionieren aber vollkommen verschieden.
[Eventuell später noch weiter ausbauen:
* Beispiel Roger Schank und Richard Dreyfus: Scripts zu Mac Donald Essen oder Geburtstag vs absurde Fragen, wie „Hat die Kellnerin eine, zwei oder drei Nasen? Ist sie rückwärts oder vorwärts gegangen oder auf dem Boden angekrochen?
* Beispiel Herbst Simon und John R. Seattle: In ein Auto hineinbeißen vs. Do doctors wear underwear?]
15: Zum Zusammenhang von Kognitivsmus und Künstliche Intelligenz ließe sich noch viel sagen. Aber lassen wir das und konzentrieren wir uns auf das dritte Lernparadigma, den Konstruktivismus.
16: Der Konstruktivismus geht davon aus, dass das Gehirn ein selbstbezügliches, zirkuläres System ist. Es ist war energetisch offen (wir müssen Nahrung/Energie aufnehmen und scheiden Abfallstoffe aus.) in Bezug auf den Informationskreislauf aber geschlossen. Das bedeutet, dass das Gehirn ein gewisses Eigenleben hat. Es bildet nicht ab, ist also kein bloßes Duplikat der Welt, sondern verarbeitet und modelliert, d.h. bringt einige Aspekte stärker oder anders zu tragen als andere.
Ein gutes Beispiel für diese unter Anführung „Eigenständigkeit“ des Gehirns sind optische Täuschungen oder unterschiedliches Schmerzempfindungen in Abhängigkeit unseres Gemütszustandes. Optische Täuschungen, wie z.B. doe Ponzo-Täuschund, das sind die zwei nach oben zusammenlaufende Linien, die unten und oben jeweils einen nicht verbundenen Querbalken, werden durch unsere Lebenserfahrung interpretiert: Die nach oben zusammenlaufende Linien erinnern uns an Bahngleise und wir wissen alle, dass Objekte weit weg von uns kleiner erscheinen als sie in Wirklichkeit sind. Wir sehen daher beiden Balken unterschiedlich lang. Selbst wenn wir nachgemessen haben und wissen, dass sie gleich lang sind, sehen wir sie immer noch unterschiedlich lang.
Unser Gehirn ist seine eigene Welt, die nur lose mit der Außenwelt gekoppelt ist. Im Zuge der Jahrmillion der evolutionären Entwicklung des Auges haben sich eigenständig Prozesse entwickelt, die unser Überleben sichern helfen sollen. Deshalb ist für den Konstruktivismus nicht Wahrheit, also die Übereinstimmung mit der Außenwelt das entscheidende Kriterium, sondern des von Ernst von Glasersfeld eingeführte Prinzip der Viabilität (Viability), d.h. die Lebensfähigkeit. Statt Abbildung geht um pragmatische Passung, wahr und falsch wird durch funktionieren und scheitern ersetzt. Die Welt „spricht“ zu uns, indem wir erfolgreich oder erfolglos sind. Wenn ich mir auch tausendmal fest einbilde, dass die Türe geöffnet ist, haue ich mir den Schädel an, weil sie tatsächlich geschlossen ist.
Es wird oft behauptet, dass der Konstruktivismus davon ausgeht, dass wir unsere Welt in unserem Kopf konstruieren. Das ist jedoch eine falsche Zuschreibung, die letztlich zur philosophischen Position des Solipsimus führt: Wenn alles nur in meinem Kopf existiert, dann gibt es nur mich und Sie hier alle sind nur Abbilder in meinem Kopf. Das ist eine sehr einsame Position, die aber nicht die des Konstruktivismus ist. Der Konstruktivismus stellt die Außenwelt nicht in Abrede, er ist aber der Meinung, dass unser evolutionsgeschichtlich herausgebildetes Organ seine Verarbeitungsprozesse eigenständig durchführt. Es gibt keine übergeordnete Autorität, die bestimmt was wahr ist, sondern wahr ist was sich bewährt.
17: Was haben nun diese abstrakten und z.T. philosophischen Aussagen mit Lernen und Bildungstechnologie zu tun?
18: Sehen wir uns nun die Konsequenzen dieser drei Lernparadigmen für den Lernprozess an:
19: Ich werde nun alle drei Lernparadigmen nach 6 Merkmalen differenzieren:
- Welchen Wissenstyp vertritt das Lernmodell hauptsächlich?
- Was ist die bevorzuge Lehrstrategie unter diesem Lernparadigma?
- Die Frage nach prototypischen Lehrhandlungen, d.h. zu welchen Aktivitäten der Lehrperson regt das gerade betrachtete Lernmodell an?
- Welche kognitiven Prozesse stellt das Lernparadigma in den Mittelpunkt?
- Die Frage nach den hauptsächlich verwendeten Evaluationsmethoden, d.h. wie wird der Lernerfolg überprüft?
- Das prototypische Lernziel, welcher Typus von Lernzielen wird anvisiert?
Sie sehen am unteren Rand dieser Folie ein Schaubild
20: Es handelt sich dabei um eine Lernzieltaxonomie von Anderson & Krathwohl, die um die Jahrtausendwende aus der berühmten Bloom’schen Taxonomie weiterentwickelt wurde. Ich gehe jetzt nicht näher auf diese Taxonomie ein, möchte aber nur darauf verweisen, dass es einen Zusammenhang von meinen hier 6 genannten Punkten zur Lernziel-Taxonomie gibt, auf die ich im Rahmen des Vortrags zum Thema der Lernergebnisse oder „Learning Outcomes“ noch zurück kommen werde.
21: Jetzt möchte ich aber jede der drei genannten Lernparadigmen durch diese 6 Dimensionen charakterisieren.
22: Ziel dabei ist es, nach der theoretischen Analyse nun die praktischen Unterschiede der drei referierten Lernparadigmen heraus zu arbeiten.
23: Das erste Lernmodell nenne ich nicht mehr Behaviorismus, sondern Transfermodell oder Lernen I.
- In Bezug zur Wissensdimension konzentriert sich dieses Modell vor allem auf Faktenwissen oder „know that“. Dieses Wissen wird durch den Satz charakterisiert, Ich weiß, dass… und dann folgt das entsprechende Fakt. z.B. Ich weiß, dass Österreich 8,5 Mio. Einwohner hat.
- Das Transfermodell bevorzugt als Lehrstrategie lehren/erklären. Wir unterliegen alle in diesem Augenblick diesem Lernmodell. Auch wenn der absolute Zeitpunkt durch die Technologie verschoben ist: Ich verfolge das Transfermodell zu dem Zeitpunkt, wo ich diese Worte aufnehmen, Sie zu dem Zeitpunkt, wenn Sie die Folien ansehen und meiner Stimme zuhören.
- Ziel dieses wechselseitigen Arrangements ist der Transfers meines Wissens zu Ihnen. Die Vermittlung von Wissen ist die prototypische Lehrhandlung in diesem Modell.
- Auch wenn ich nicht garantieren kann, dass Sie alles verstehen oder gar anwenden können, so denke ich doch, dass es ein erster Schritt ist, wenn Sie diese Dinge einmal (oder öfter, daher die Tonaufnahme) gehört haben und sich dann – wenn wir im Zuge des Lehrgangs wieder darauf zu sprechen kommen, auch erinnern können.
- Ich arbeite hier von einer autoritären Position: Sie können nicht mit mir diskutieren und müssen die angebotenen Inhalte wohl oder übel bei der Prüfung korrekt wider geben.
- Das hier verfolgte Lernziel ist ein niedriges, wenig engagiertes Lernziel: Merken und Erinnern. Daher auch die niedrigste Nummer; es ist bloß Lernen I. Warum dieses Lernmodell trotzdem wichtig ist und wir nicht gleich beim Konstruktivismus einsteigen können, erkläre ich etwas später.
24: Das zweite Lernmodell oder Lernen II ist das Modell der Betreuung. Während im ersten Modell nur die Lehrperson mit ihrer Bildungstechnologie (eine Flipchart) zu sehen war, symbolisiert die kleine Grafik bereits ein miteinander, auch wenn es noch hierarchisch geprägt ist.
- Hier geht es bei der Wissensdimension nicht mehr hauptsächlich um „know that“, sondern „know how“. Es handelt sich nicht mehr um statisches Wissen, dass etwas der Fall ist, sondern um dynamischen Wissen, um Prozeduren; um das Wissen wie etwas gemacht wird, wie etwas funktioniert. Zwei Anmerkungen dazu:
- „Wissen, wie“ ist eine höhere Stufe, die sich nicht auf bloß "Wissen, dass" zurückführen lässt. Wenn ich weiß, dass ich bei einem Reifenwechsel einen Wagenheber brauche, dass dieser im Kofferraum ist und ich weiß, dass ich damit den Wagen emporheben muss, dann ist dieses Wissen bereits in einer richtigen Reihenfolge angeführt. Die Reihenfolge ergibt sich aber nicht alleine aus den einzelnen Wissensbestandteilen, des Wissens, dass etwas der Fall ist. „Wissen, dass“ bildet die Wissensatome, „Wissen, wie" bildet bereits eine Gestalt, wo der Grundsatz gilt: Die Summe ist mehr als ihre Teile.
- Wenn ich weiß, wie etwas gemacht werden muss, heißt das noch lange nicht, dass ich es auch kann. Wenn ich weiß, wie man einen Reifen wechselt, heißt das eben noch nicht, dass ich es kann, z.B. weil ich zu ungeschickt bin oder zu wenig Kraft habe. „Wissen, wie“ und „Können“, d.h. die Fähigkeit etwas zu tun, sind ganz verschiedene Dinge, die aber leider von Teilen der Kognitionswissenschaft vermischt wurden.
- Bei diesem Lernmodell werden Sie zu verstärkter Aktivität geführt. Es ist nicht so, dass Sie bei Lernen I völlig passiv waren. Nein, auch dort war Aktivität, konkret aktives Zuhören gefragt. Jetzt aber unter Lernen II diskutieren wir nicht nur, sondern ich zeige vor und Sie ahmen nach und üben die Prozesse.
- Dass Sie selbst aktiv etwas tun, ist vor allem deshalb wichtig, weil ich nicht in Ihr Gehirn schauen kann und daher nicht weiß, ob Sie die Sache verstanden haben. Wenn Sie aber etwas tun, dann sehe ich durch Ihr Können, dass Sie es verstanden haben und anwenden können. Aus dieser Beobachtung heraus kann die Lehrperson dann helfen, indem z.B. falsche Handgriffe aufgezeigt werden.
- Die prototypische Lehrhandlung dieses Lernmodell ist es, Ihnen Probleme zur Lösung zu geben. Pointiert ausgedrückt, werden Sie als ProblemlöserInnen ausgebildet. Das ist gut und ein wesentlicher Fortschritt gegenüber Lernen I, doch sollten wir nicht vergessen, dass die Probleme von anderen Personen generiert und didaktisch zugerichtet wurden. Sie sind nicht mehr verschwommen, unklar, kompliziert, zeitraubend, usw. Weil sich dies in der zur Verfügung stehenden Zeit des Unterrichts nicht ausgeht. Es sind also keine verzwickten Probleme sondern bereinigte, geglättete Problem, die Sie zur Lösung vorgelegt bekommen. Ok, Sie lernen Probleme lösen, aber wer erkennt, generiert neue Probleme. Probleme fallen nicht vom Himmel, sondern sind bereits minimalisierte Konstruktionen, die den Keim ihrer Lösung in sich tragen. [Geschichte von Isaac Asimov vielleicht später?]
- Unter Lernen II müssen Sie aus einer Reihe von Methoden, die Sie bereits als „know that“ im Paradigma I gelernt haben, auswählen und entscheiden, welche für dieses zu lösende Problem die richtige ist. Die Bewertung ihres Lernprozesses zielt nicht alleine auf die Lösung des Problems ab, sondern schließt auch mit die Beurteilung mit ein, ob Ihre angewandte Methode der Fragestellung adäquat war. Um diesen Unterschied zu verdeutlichen ein Beispiel aus meiner Schulvergangenheit: Ich hatte einen Lehrer in Elektrotechnik, der mir eine sehr komplizierte Rechnung mit vielen Rechenschritten als vollkommen falsch angerechnet hat, obwohl ich mich „nur“ (unter Anführungszeichen) beim Komma geirrt hatte. Auf meine Beschwerde sagt er: Schauen Sie, Sie haben zwar im Wesentlich richtig gerechnet, aber sich letztlich um eine Zehnerpotenz geirrt; ein anderer Schüler hat völlig falsch gerechnet, aber er ist dem richtigen Ergebnis wesentlich näher gekommen als Sie. Unser damaliger Mathematiklehrer hingegen ging davon aus, dass wir ja nicht zu Rechenknechten ausgebildet werden sollten (Taschenrechner waren damals noch aus sozialen Gründen verboten), und wollte, dass wir alle Gedankengänge, die wir haben (Nebenrechnungen, Überlegungen etc.) ebenfalls aufschreiben. Er konnte dann solch kleineren richtigen Schritten Punkte geben und war nicht bloß auf das Endergebnis fixiert. Beide Vorgangsweisen sind nach den beiden Lernmodellen durchaus begründbar: Fall 1 entspricht dem Lernmodell I, der zweite Fall dem Lernmodell II, wenn auch vielleicht nicht aus den hier erwähnten didaktischen Überlegungen, sondern weil unser Mathematiklehrer mit diesem Punktesystem verhindern wollte, dass mehr als die Hälfte der SchülerInnen ein Nicht-Genügend bekamen und die Schularbeit wiederholt werden musste.
- Im Lernmodell II geht es nicht mehr bloß um Wissen, also Kognition, sondern darum auch etwas zu können, etwas fähig zu sein, etwas das nicht immer bloß mit dem Hirn zu regeln ist, sondern auch den Einsatz unseres Körpers braucht. Während das Lernmodell I sich auf die zentrale Unterscheidung von richtig/falsch konzentrieren kann, sind im Lernmodell II auch graduelle Unterschiede von Bedeutung: Ich kann etwas gut, besser, am relativ am Besten von allen SchülerInnen machen. Es gibt also nicht nur schwarz/weiß bei der Bewertung sondern eine Reihe von Grautönen.
25: Das dritte Lernmodell ist das Lernparadigma der Kooperation oder Lernen III. Hier wird die Autorität der Lehrperson noch einen weiteren Schritt zurückgenommen, was durch die Gleichwertigkeit der beiden Figuren in der Abbildung charakterisiert wird. Wer Lehrender und Lernender ist, ist nicht mehr klar ersichtlich. Es gilt der Spruch, der Anfang August 2018 die Twitterrunde machte: Wenn einer lehrt, lernen zwei!
- In Lernen III geht es nicht bloß um Wissen, sondern um Praktiken, sowohl manueller als auch sozialer Natur. Der Begriff „knowing-in-action“ von dem amerikanischen, bereits verstorbenen Philosophen Donald Schön drückt dies gut aus: Wissen in der Handlung, oder wissendes Handeln.
- Neben der Interaktion mit der Umwelt, ist hier die neue Dimension das Interagieren mit anderen Menschen, mit sog. „Ko-Lernenden“.
- Die prototypische Lehrhandlung ist es, reflektierendes Handeln anzustoßen. Also nicht bloß die Dyade Denken und Handeln sondern der Kreislauf: Denken-Handeln-Denken bzw. Nachdenken oder Reflektieren.
- Es stehen hier höhere kognitive und kreative Prozesse im Mittelpunkt wie bewerten, beurteilen, generieren, erzeugen.
- Bewertet wird das Lernergebnis durch den erreichten Erfolg oder Misserfolg. Es sollen komplexe Situationen bewältigt werden, nicht bloß einzelne und bereinigte Probleme gelöst werden.
- Das dominante Lernziel ist es in unserer Welt sozialverantwortlich zu leben, bzw. wenn wir an die Klimaveränderung, die Weltlage etc. denken, dann können wir sagen, nicht nur sozialverantwortlich zu leben, sondern sozialverantwortlich zu überleben
Warum also nicht gleich dieses höchste der drei Lernmodelle nutzen, Zeit sparen und die beiden vorigen Modelle (Lernen I und II) einfach überspringen. Der Grund liegt darin, dass es sich um einen kontinuierliche Entwicklung handelt, wo nicht einzelne Stufen einfach ausfallen oder fehlen können. Bildlich gesprochen: Das gesamte Gebäude der Kompetenzaneignung würde zusammenfallen und scheitern. Im ersten Schritt erhalten wir durch erfahrene (Lehr-)Personen einen abgekürzten und vereinfachten Überblick; wir ersparen uns so viel eigenständiges Suchen, Trial und Error. Im zweiten Schritt eignen wir uns die Dinge an, machen Sie sie uns zu eigen, indem wir sie praktizieren und üben. Erst im dritten Schritt sind wir gewappnet uns mit der Vielfältigkeit und Komplexität realer Situationen kompetent und erfolgreich auseinander zu setzen.
Als ich vor 30 Jahren in Mexiko tauchen lernte, also mit Flasche und Atemgerät und so (Scuba Diving), da war ich froh, dass unser Instruktor kein ausschließlicher Anhänger des Konstruktivismus war. Sonst hätten wir nämlich sofort auf 10 Meter Tiefe tauchen müssen. So aber lernten wir zuerst viel Theorie, die mit Multiple-Choice Tests abgeprüft wurde. Wir mussten die Test solange machen, bis wir alle Fragen richtig beantworten konnten. Dann mussten wir noch bei jene Fragen, die wir zuerst mal falsch beantwortet hatten, unterschreiben, dass wir sie nun verstanden hätten. Nach diesem Lernen I Szenario ging es dann ins Schwimmbad und begannen wir mit dem ersten Tauchübungen. Unser Instruktor zeigte vor bzw. korrigierte uns, wenn wir etwas falsch machten. Das war Lernen II und erst dann gingen wir ins Meer auf 10 Meter Tiefe und legten die Prüfung für den Tauchschein ab.
Lernen III ist für die Lehrenden jenes Modell, das am risikoreichsten ist. Hier können Arrangements, z.b. Projekte auch scheitern. Wenn ein Projekt scheitert, heißt das aber lange noch nicht, dass auch der Lernprozess gescheitert ist. Im Gegenteil: Gerade aus Fehlern zu lernen ermöglicht die ertragreichste Lernerfahrung! Trotzdem: Weil Lernen III mit großem Risiko behaftet ist, viel Vorbereitung und auch Lernzeit benötigt, wird es in der Aus- und Weiterbildung selten oder nur rudimentär eingesetzt.
26: Ich werde nun an einem konkreten Beispiel, das bereits mit E-Learning zu tun hat, die bisherig theoretischen Aussagen praktisch anwenden. Und zwar geht es darum, wie diese drei Lernmodelle im Zusammenhang einer Lernplattform, eines sogenannten Learning Management System, wie z.B. Moodle oder auch SITOS darstellt, zu konkretisieren sind.
27: Lernen I oder Transfermodell: Bezogen auf eine Lernplattform ist das charakteristische Merkmal dieses Modells, dass alle Materialien auf die Plattform hinaufgeladen werden und über sie distribuiert also verteilt werden. Leider ist es immer noch so, dass viele Organisationen von sich behaupten, dass ihre Lernenden zu 100% in E-Learning eingebunden sind. Sie meinen damit aber häufig nur, dass mit der Kursanmeldung automatisch auch ein Zugang zur Lernplattform besteht und von dort Material herunter geladen werden können. Es wird von E-Learning gesprochen, obwohl es bloß Lernen I darstellt und die Plattform – häufig bloß ein PDF-Friedhof – eigentlich gar nicht zum Lernen, sondern nur als Distributionskanal verwendet wird.
Trotzdem hat dieser erste Schritt auch seine Vorteile: Es wird nämlich die Bringschuld der Lehrenden zu einer Holschuld der Lernenden gemacht. Statt die Unterlagen manuell auszuteilen, können bzw. müssen Lernende nun sich selbst um die Unterlagen kümmern. Abwesenheit bei der Veranstaltung ist nun kein Grund bzw. Keine Ausrede mehr. Gleichzeitig werden die Lernenden an das Arbeiten mit der Plattform gewöhnt. Außerdem ist die Nutzung der Plattform als Kommunikationskanal, z.B. indem an alle Kursteilnehmer Nachrichten versendet werden, die EInstiegsdroge für das Verwaltungspersonal. Mit diesen beiden Funktionen Up- bzw. Download und Versenden von Nachrichten ergibt sich nicht nur für das Lehr- und Verwaltungspersonal ein großer Vorteil, sondern auch für die Lernenden. Sie können nun jederzeit und von allen Orten auf dieses Materialdepot zugreifen.
28: Lernen II oder Tutormodell: Hier beginnt erst das eigentliche E-Learning indem kommunikative Lernprozesse teilweise (also: in sog. Blended Learning Arrangements) oder auch ganz (also ohne Präsenzunterricht) über die Plattform abgewickelt werden. Das geschieht durch Einrichtung von Foren und Mailkommunikation (also asynchrone Diskussion) bzw. durch Chats oder Webinars zur synchronen Kommunikation. Weiters werden ergänzend zu den Download-Materialien Aufgaben bzw. Übungen über die Plattform angeboten, administriert und teilweise auch ausgewertet.
Entscheidend für den Erfolg dieser Methode ist es, dass es eine qualifizierte und zeitnahe Betreuung gibt. Es gibt den Spruch, dass E-Learning auf drei Erfolgskonzepte beruht: Betreuung, Betreuung und nochmals Betreuung! Die Betreuenden müssen nicht unbedingt mit den Vortragenden bzw. den ProduzentInnen des Materials ident sein. Es können auch eigens dafür eingeschulte bzw. qualifizierte Personen diese Aufgabe übernehmen. Meistens hat sich hier eine dreistufiges Betreuungssystem als vorteilhaft erwiesen:
- Organisatorische Betreuung: Darunter fallen z.B. terminliches Nachfragen, Unklarheit beim Einloggen, Nichtauffinden eines angekündigten Materials und z.T. auch wenn – was leider sehr häufig vorkommt – Passwörter vergessen werden. Diese Tätigkeiten könnten durch Verwaltungspersonal des Kurses oder des EDV-Zentrums erledigt werden.
- Inhaltliche Betreuung: Darunter fallen vor allem Diskussion in den asynchronen Foren, die inhaltlich qualifizierte TutorInnen zur Betreuung benötigen. Dabei ist die tutorielle Kunst dabei, nicht die Antworten vorgeben, sondern die Diskussion in eine produktive Richtung lenken und am Laufen halten.
- Unklarheiten/Trouble shooting: Unklarheiten können sowohl inhaltlich (z.b. eine Unklarheit zum Thema, die von den TutorInnen nicht aufgeklärt werden kann) als auch organisatorischer Natur sein, z.B. wenn jemand nicht mit der Note einverstanden ist, oder wegen fehlender Präsenzteilnahme eine Ersatzaufgabe bekommen soll. Dazu gehören auch Kritiken der Lernende zu den Kursinhalten.
Bei der Erstellung der Aufgaben und Anweisungen muss viel genauer als beim Präsenzunterricht vorgegangen. Rückfragen sind im Präsenzunterricht leicht aufzuklären, über die Plattform aber mühsam und können zu einer Unmutslawine der Studierenden führen, wenn bereits Arbeiten wegen Missverständnisse falsch angefangen wurden. Über die Plattform ist keine persönliche Kontrolle der Aktivitäten der Lernenden möglich, wie dies im Präsenzunterricht durch Sichtkontakt der Fall ist.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Während Lernen I ein Lagermodell in Form eines Materialdepots darstellt ist Lernen II vor allem ein Anreicherungsmodell: Das vorliegende Material wird mit Diskussionen, Aufgaben und Übungen angereichert.
29: Lernen III oder Coach-Modell: Hier erst kommen alle didaktischen Mehrwerte von E-Learning bzw. Blended Learning zum Tragen indem zeit- und ortsversetzt aber doch sozial vernetzt und selbstorganisiert gelernt wird. Die Plattform ist hier der zentrale Bezugspunkt für die Koordinierung der gemeinsamen Aktivitäten. Die Lernplattform wird hier nicht nur als administratives oder kommunikatives, sondern auch als didaktisch-pädagogisches Werkzeug genutzt. Das ist die hohe Schule des E-Learning und erfordert gute Plattformkenntnisse beim Einrichten von sich selbstorganisierenden Lerngruppen, bei der kreativen Erstellung von herausfordernden aber nicht überfordernden Aufgaben und vor allem beim inhaltlichen Coaching.
Dieses Lernmodell verlangt nicht nur hohe Kenntnisse bei den Lehrenden, sondern auch die Lernenden müssen sich mit dem Lernmanagement-System gut auskennen. Nur dann sind sie in der Lage die Plattform für ihre Zwecke entsprechend zu nutzen. Leider sind manche Plattformen noch nicht gut für diese selbstorganisierenden Aktivitäten ausgelegt, sodass oft ein komplexes Rechtemanagement seitens Plattformspezialisten notwendig ist, um den Lernenden auch die entsprechenden Möglichkeiten (d.h. Rechte) zur der für ihre Aufgaben notwendigen Plattform-Administration zukommen zu lassen.
In der Praxis ergibt sich leider oft die Situation, dass die Plattform nur als Anfangs- und Endpunkt realisiert wird, d.h. es werden die Aufgaben abgeholt und – sobald erledigt – die Resultate wieder hinaufgeladen. Alle Aktivitäten dazwischen finden jedoch mit traditionellen Mitteln statt (persönliche Mails, Anrufe, individuell vereinbarte Syke-Termine). Dagegen ist nicht unbedingt etwas einzuwenden, weil auch damit die selbstorganisierten Lernprozesse technologisch unterstützt gestaltet werden können. Allerdings sind die Lehrenden dann aber von den Zwischenschritten ausgeschlossen, sehen nicht mehr die einzelnen Aktivitäten und können nur mehr am Ende – wenn vielleicht bereits alles falsch gelaufen ist – die Arbeiten summativ bewerten.
30: Ich schließe nun mit dem Hauptteil zu den Lernmodellen ab. Wie zu Beginn, wo ich diesen Vortrag mit zwei Thesen auf der Metaebene geöffnet habe, möchte ich ihn jetzt auch mit zusammenfassenden Meta-Überlegungen abschließen.
31: Ich möchte jetzt zusammenfassend Lernen als sozialen Prozess charakterisieren und werde dazu weniger auf die einzelnen Phasen sondern auf die Übergänge fokussieren.
32: Wenn wir Lernen als sozialen Prozess beschreiben, dann lässt sich eine Tendenz von wenig zu immer mehr Erfahrung und Praxis erkennen. Wir erkennen in den ersten beiden Phasen die beiden Modelle Lernen I und Lernen 2, wohingegen Lernen III sich auf drei weitere Phasen aufteilt. Aus zeitlichen Gründen muss die Aus- aber auch die Weiterbildung mit Phase 3 dem Kompetenzerwerb abschließen. Gemeint ist hier, dass ausreichende Kenntnisse und praktische Erfahrungen vorhanden sind, um aus einen umfangreichen Repertoire die adäquaten Methoden und Werkzeuge auszuwählen und kompetent zur Problemlösung eingesetzt werden können.
Aber die Umsetzung erfolgt nachdenkend, reflektierend und abwägend, also langsam. Nicht wie es bei Expertinnen üblich ist, mit traumwandlerischer Sicherheit und Schnelligkeit. Für diese (graduellen) Verbesserungen ist viel Zeit, Übung und vor allem Variation in den Praxisfällen nötig, die in der Ausbildung nicht angeboten werden kann. Die Expertisenforschung geht davon aus, dass Expertinnen auf ein Resevoir von mindestens 100.000 Fälle zurückgreifen können. Erst dann ist es möglich in dieser Vielzahl von Fällen Gemeinsamkeiten, d.h. Muster zu erkennen. Erst nach dieser Vielzahl von Praxisfällen kann eine abwägende, sezierende d.h.analytischen Vorgangsweise durch die scheinbar automatische schnelle Gestaltwahrnehmung ersetzt werden. Die systematische Aus- und Weiterbildung endet meist mit Stufe 3, Gewandtheit und Expertise sind einzelnen prototypischen Übungen oder langfristigen Lernarrangements vorbehalten. Beispiele dafür sind TurnusärztInnen, Referendar-LehrerInnen oder begleitendes Projektmitglied mit geringerer Verantwortung. Wir sprechen hier von Community of Practice, einem Lernmodell das auf den Austausch von Expertinnen-Wissen beruht und Personen mit weniger Erfahrung auch zugestehen, dass sie geringere Verantwortung tragen dürfen. Z.B. beraten sich TurnusärztInnen bei Diagnosen mit erfahreneren KollegInnen, wie auch Refenderar-LehrerInnen sich praktische Ratschläge bei Notenbewertung holen oder die Karriere zu Professorin oder Professor über verschiedene Zwischenschritte wie WissenschaftlerIn, Asisstenzprofessorin etc. erfolgt.
33: Zur Veranschaulichung lassen sich die bisherigen Aussagen in einem drei-dimensionalen Modell zusammenfassen.
34: Wir tragen die verschiedenen Aspekte der drei Lernmodelle auf den drei Dimensionen auf: Handlungsebene der Lernenden, Handlungsebene der Lehrenden und Lernziele bilden jeweils eine Dimension. Mit diesem Modell lassen sich alle Formen von Bildungsarrangement, also z.b. auch Lernsoftware beurteilen, indem die einzelnen Module oder Programmsequenzen in das Quader-Modell eingetragen werden. Anhand der Punktehäufigkeit in den jeweiligen Feldern lässt sich dann erkennen, auf welcher Ebene das jeweilige Bildungsarrangement die Schwerpunkte setzt. Idealtypisch wäre eine Punktwolke von links-vorne-unten nach rechts-hinten-oben. Dabei sind Module, die sich auf den Bereich links unten konzentrieren nicht als schlechter gegenüber Lernaktivitäten die rechts-oben-hinten eingeordnet werden, zu bewerten. Nicht schlechter, sondern nur anders, es wurde einfach anderer Fokus im Lernprozess gewählt.
Dieses Modell ist kein dezisionistisches Modell weil es Ihnen keine inhaltlichen Entscheidung vorgibt. Es ist jedoch ein heuristisches Modell das Ihnen Daumenregeln zur Inhaltsentwicklung gibt. Es geht darum, dass Sie sich überlegen wo die Schwerpunkte Ihres didaktischen Designs liegen. Ein Kurs oder Lernprogramm, das eine überall irgendwelche Punkte setzt und wo keine einheitliche Tendenz einer Punktwolke zu erkennen ist, wo also nach einem saloppen Spruch von jedem Dorf ein Hund vorhanden ist, ist sicherlich keine gutes Design und lässt sich mit diesem heuristischen Modell vermeiden.
35: Ich komme nun zur abschließenden Folie, die Ihnen die dynamische Lernentwicklung in Form einer sich drehenden Kompetenzspirale näherbringend soll.
36: Wieder sehen Sie im inneren Kreis mit Lehren-Helfen-Coachen die drei Lernmodelle. Der äußere Kreis zeigt, dass Sie sich zuerst mit Fakten bzw. Artefakten beschäftigen (Lernen I), diese dann mit Co-Lernenden diskutieren (Lernen II) um schließlich die Ergebnisse in der realen Welt (Lernen III) zu implementieren. Dann beginnt die Spirale – auf einer höheren Ebene – wieder von vorne. Das dritte Modell, der Bezug zur realen Welt ist in der Aus- und Weiterbildung häufig nur bedingt und aus Zeitgründen häufig nur selten, z.B. bei Projektarbeiten vorhanden.
Aber sehen wir uns die beiden Kästen „Artefakt“ und „Umgebung“ in Zusammenhang mit Lernmanagement-Systemen noch genauer an: Ich habe schon erwähnt, dass wir die kognitiven Prozesse der Lernenden nicht steuern oder überwachen können. Wir können nur aus den Lernergebnissen – wie KulturwissenschaftlerInnen – rückschließen, was zur Zeit der Lernaktivität vielleicht gedanklich passiert ist. Und hier kommt ein großer Vorteil von Lernplattformen zum Tragen: Wir haben das gesamte Artefakt des Lernprozesse auf der Plattform dokumentiert. Darauf beziehen sich die neueren Ansätze von Learning Analytics, wo versucht wird, nicht nur den Lernenden entsprechend ihren Fortschritten individuell angepasste Aufgaben zu stellen, sondern wo auch Hinweise zur Wirksamkeit des Lehrprozesse abgeleitet werden sollen.
Die Umgebung hier ist als technologische unterstützte Lernplattform zu verstehen. Hier haben wir es mit einer paradoxen Situation zu tun: Um den individuellen Lernprozess der Studierenden zu schützen und Ihnen zu erlauben, dass Sie ohne Nachteile im Beruf oder gesellschaftlicher Position auch Fehler machen dürfen (und sogar sollen), haben wir die Lernplattformen durch Registrierungen von der Außenwelt abgeschottet. Damit ist der Austausch und die Kooperation auf die im Kurs eingeschriebenen Ko-Lernenden beschränkt. Eine Öffnung zur realen Lebenswelt (z.b. um Lernen III besser zu ermöglichen) ist bei den Lernplattformen nicht nur recht mühsam zu realisieren, sondern aus datenschutzrechtlicher Sicht auch kritisch zu beurteilen. Hier gilt es noch relativ neue Wege zu finden, wie dies trotzdem möglich ist. Solche Lösungen könnten beispielsweise in Absprache mit Betriebsräten oder PersonlavertreterInnen innerbetrieblicher Natur sein, oder auf eine gezielte Beteiligung in öffentliche Fachforen z.T. auch anonymisiert, d.h. ohne Klarnamen und mit einer nicht zuordnenbaren Mailadresse erfolgen.
37: Mit diesem kritischen Ausblick in die Zukunft von Lernen III Arrangements möchte ich diesen Vortrag abschließen.
38: ich hoffe, dass Ihnen der Überblick zu den drei Lernmodellen, das Eintauchen in ihren unterschiedlichen Aspekte und schließlich die zusammenfassende Sicht von Lernen als sozialen Prozess eine wertvolle Orientierungshilfe bei ihren weiteren Lernerfahrungen darstellt.
39: Zum Abschluss möchte ich noch darauf verweisen, dass Sie diesen Vortrag unter meiner Namensnennung frei nutzen können. Im Rahmen der Creative Common Lizenz habe ich sogar die jegliche Erweiterung und Abänderung erlaubt. Diese Änderungen müssen sie allerdings mit derselben Lizenz uns allen wieder zur Verfügung stellen. So kann sich die Komptenzspirale für uns alle immer weiter drehen. – Vielen Dank dass Sie sich diesen Vortrag bis zum Ende angehört haben!