Zur Rezeption der Arbeiten von Christopher Alexander für die Pädagogik
Sorry, ich war und bin die letzten 3 Wochen durch verschiedene unvorhergesehene Zwischenfälle in meinem Department und dann auch noch selbst durch Krankheit nicht mehr dazugekommen hier – in meinem eigenen Weblog! - mit zu diskutieren. Angesichts dieser spannenden, intensiven und sehr verzweigten Diskussion ist es aber auch gar nicht mehr so einfach, hier wieder den Faden zu finden und wieder in die Diskussion hinein zukommen. Das hier ist ein erster Versuch, der zwei Überlegungen zur Grundlage hat:
- Das verschiedene Arbeiten von Christopher Alexander (CA) widerspiegeln unter anderem auch seine persönliche geistige Entwicklung. Das ist bei der Interpretation zu beachten. CA ist nicht gleich CA. Ähnlich wie bei Wittgenstein, wo zwischen einem Frühen (Tractatus) und einem späten Wittgenstein (Philosophische Untersuchungen) würde ich bei CA mehrere Phasen (mindestens zwei, vielleicht sogar mehr!) unterscheiden.
- Die Arbeiten von CA können sowohl aus verschiedenen Blickwinkel als auch unter einem unterschiedlichen Detailierungsgrad betrachtet werden. Das macht die Diskussion so schwer und vielfältig. Es gibt wissenschafts- und erkenntnistheoretische Aspekte (Wie kommt er zu seinen Strukturmerkmalen? Wie werden Muster entwickelt?), methodische und methodologische Fragestellungen (Ist seine Argumentationskette rational begründet? Sind die daraus gezogenen Schlussfolgerungen legitim? Bilden seine Experimente eine geeigente empirische Ausgangsbasis für seine Schlussfolgerungen?) und dann (gute oder schlechte?) Umsetzungen bzw. Implementierungen der eigenen theoretischen Ansichten.
4 wichtige Fragen
Ralf Hilgenstock stellt in seinem ersten Kommentar meiner Meinung nach vier wichtige Fragen – die auch mich ständig bewegt haben - und deren Beantwortung zu einer Reduktion der Komplexität der Diskussion beitragen kann. Seine vier Fragen führen zu vier verschiedenen Strängen der Diskussion:
- Wie entwickelt Alexander eigentlich die 15 Eigenschaften?
- Wie integriert Alexander in seinem Spätwerk TNoO die Pattern?
- Zu welchen Erkenntnissen führen Eigenschaften und Transformationen für die Architektur und für andere Felder, insbesondere der Pädagogik?
- Können seine Eigenschaften und Transformationen als Ausgangspunkte für die theoriegeleitete Entwicklung neuer pädagogischer Pattern dienen?
Ich versuche darauf aus meiner Sicht jeweils ganz schnell – z.T. sicherlich verkürzte – Antworten zu geben:
ad 1.) Wie entwickelt Alexander eigentlich die 15 Eigenschaften?
Das ist bereits ein Kernproblem bei der Interpretation seiner Arbeiten. Es gibt keine klar beschriebene methodische Vorgangsweise, aber ich glaube, dass ich nicht ganz falsch liege, wenn ich aufzähle:
- Beobachtung von Naturereignissen und (historischen) Artefakten bzw. Analogiebildung von beobachtbaren Strukturen in Naturprozessen
- Rückwirkende (Struktur- bzw. Form)-Interpretation von Mustern, die sich bewährt haben. Dabei hat er sich CA sowohl auf eigene Erfahrungen, als auch auf Interviews bzw. auslotende Gespräche gestützt.
- (Eklektizistische?) Anleihen aus verschiedenen Theoriegebieten wie Gestalttheorie, Systemtheorie, Theorie komplexer adaptiver Systeme, Chaos- und Katastrophentheorie, Theorie selbstorganisierender Systeme, Konstruktivismus, Quantentheorie und nicht zu vergessen New Age Literatur. (Hier ist besonders das Kapitel "Our Present Picture of the Universe" im 4. Band von TnOO - den ich gerade mühsam lese - aufschlussreich
- Introspektion (innere Wesensschau), sich Hineinfühlen
Ein (kleiner) Teil der bisherigen Diskussion hat sich darum gedreht. So kritisiert Christian Kohls diese unsystematische Vorgangsweise vor allem bei der Gestalttheorie, die fehlenden Referenzen und die insgesamt unsystematische Vorgangsweise. Obwohl ich seiner Kritik in diesem Punkt im Prinzip zustimme, halte ich die Herkunft bzw. Herleitung der 15 Eigenschaften vorerst nicht für so extrem wichtig. Die vordergründige Frage müssten doch sein Ralf Hilgenstocks dritte Frage sein: Bringen diese Eigenschaften etwas in unserer Erkenntnis? Im Generieren von sinnvollen Mustern?
Ich meine ja und das ist meine wesentliche Kritik an der Pattern Community: Dass sie zwar das Ergebnis (die Patternlanguage) verwendet, noch nicht oder aus meiner Sicht noch nicht ausreichend über die Bedeutung dieser Strukturmerkmale für die Entwicklung von Mustern diskutiert.
@Christian: Du verwendest aus meiner Sicht häufig die berechtigte Kritik an die Herangehensweise von CA aber auch seine auch für mich z.T. überzogenen Schlussfolgerungen (darüber später noch genauer) um diese Eigenschaften insgesamt madig zu machen. (Da sollst Du erst mal den 4. Band lesen, wo CA meiner Meinung nach völlig abhebt und beschwörend wird:
Throughout this experiment, I am hoping of course, that you are being as honest as possible, admitting to what you truly experience (Das Fühlen der Verbundenheit mit dem Universum, das nach CA hinter dem Gefühl der Lebendigkeit steckt, pb), and not shielding your experinced feeling with a careful or more artificial point of view that you believe might be acceptable zu science. (TNoO, Vol 4., p.61f.)
Du hängst Dich vor allem am Begriff der Lebendigkeit und seiner unzureichenden Objektivierung auf. Hier stimme ich Helmut Leitner Zusammenfassung am Ende seines Kommentars zu, dass diese von CA wie auch immer (mühsam) erstellte Eigenschaftssammlung nicht ohne Prüfung weggewischt werden soll. Insbesondere wo wir gerade jetzt auf der Forschungswerkstatt gesehen haben, dass einige/viele/alle? dieser Eigenschaften durchaus für die Pädagogik Sinn machen könn(t)en.
ad 2.) Wie integriert Alexander in seinem Spätwerk TNoO die Pattern?
Ich war ja lange Zeit der Meinung, dass die 15+ Eigenschaften, die wesentlichen Strukturmerkmale von Mustern sind. Aus diesem Grund hielt ich es ja auch für so wesentlich, dass wir uns – um bessere Muster generieren zu können – mehr mit diesen Eigenschaften und Transformationen beschäftigen müssen. Mein These ist ja, dass gerade deshalb z.B. die pädagogischen Muster z.B. auf PaedagogicalPattern.org bisher so unbefriedigend und trivial sind, weil die Patterncommunity diesen generischen Zusammenhang nicht sieht bzw. nicht gesehen hat.
Inzwischen meine ich, dass es CA anders sieht, weit komplizierter: Für ihn sind Muster generische Regeln wie Zentren – die für ja für ihn die Hauptverantwortung für Lebendigkeit tragen – überhaupt erst gebildet werden können. Es ist also fast genau umgekehrt: Nicht die Strukturmerkmale sind die Bausteine von Mustern, sondern Muster sind Regeln, die die Strukturmerkmale der Lebendigkeit erzeugen helfen. (vgl. Kapitel 13 vom Bd 2 der TNoO: "Pattern - Generic Rules for Makin Centers or 'Making Life Enjoyable'")
Ich halte dieses 13. Kapitel für einen zentralen Schlüssel für das Verständnis von CA, muss aber zugeben, dass ich es noch nicht ganz verdaut bzw. verstanden habe. Sowohl die 15 strukturerhaltenden Transformationen (also das dynamische Moment, nicht bloß die Eigenschaften oder Merkmale) spielen eine wichtige Rolle, sondern auch die durch die aktuell kulturell-menschlich bedingten Situation hervorgerufenen Modifikationen als auch psychologische Moment wie Salienz spielen eine wichtige Rolle. – Ich hoffe, dass ich zu einem späteren Zeitpunkt hierzu mehr sagen kann.
ad 3) und 4) Was ist die Bedeutung der Strukturmerkmale für die Pädagogik?
Das ist für mich der eigentlich Zweck der Übung, d.h. meiner Beschäftigung mit CA. Ich vermute, dass die Strukturmerkmale und Transformationen so "tief", d.h. allgemein angelegt sind, dass sie nicht nur für die Architektur, sondern auch für anderen Bereiche wie z.B. für die Pädagogik Sinn machen. Es sind aus meiner Sicht hier gleich mehrere Fragen relevant:
- Wie können diese allgemeinen strukturellen Eigenschaften auf die Pädagaogik/Didaktik umgelegt werden. Da haben wir in der Forschungswerkstatt interessante und - wie ich glaube - durchaus ermutigende erste Ergebnisse erzielt. Man darf die 15+ CA Eigenschaften nicht bloß in räumlicher Analogie umlegen, sondern auch in zeitlicher, sozialer und inhaltlicher ("Content")-Sicht.
- Wie können solche Eigenschaften systematisch und vollständig abgeleitet, entwickelt, gefunden werden?
- Welche Konsequenzen ergeben sich daraus wiederum für die Bildung von didaktischen Entwurfsmustern?
- Wie lassen sich didaktische Entwurfsmuster in ihrer QWAN (Lebendigkeit, Attraktivität etc.) validieren?
Eine Interpretation von QWAN (Quality Without A Name)
Die intensive Diskussion zwischen Christian Kohls und Helmut Leitner über die Frage ob der Begriff der Lebendigkeit angebracht ist, ob nicht besser Attraktivität gewählt wird oder doch besser bei QWAN verblieben wird, ob eine objektive oder nur subjektive, eine im Objekt liegende oder nur im Auge des Betrachters liegende, eine absolute oder nur im Vergleich d.h. relative Interpretation von diesem Begriffen angebracht ist, hat mich auf folgende Idee gebracht:
Was ist wenn wir diese Diskussion anders formulieren? Wenn wir nämlich
- davon ausgehen, dass in Mustern wie Bildern, Gebäudekomplexen, didaktischen Szenarien etc. generische Regeln als Formelemente vorhanden sind, die das ausmachen, was CA als QWAN bezeichnet und wenn wir
- annehmen, dass diese Formelemente und Transformationsregeln spezifische Wirkungen erzeugen, die sich valide und reproduzierbar messen lassen und wir
- die Frage wie diese Wirkungen zu bewerten sind, ob sie "gut" oder "schlechte" Auswirkungen haben, dahingestellt lassen.
Könnten wir dann nicht davon ausgehen, dass diese generische Regeln nicht gleichermaßen von allen Subjekten wahrgenommen werden, dass es dazu einer entsprechenden Übung, Erfahrung etc. braucht? Wir wären dann dort, wo wie bei qualitativen Untersuchungen in den Sozialwissenschaften sind: Bei der intersubjektiven Varianz von Befragten/BeobachterInnen/Beurteilenden, die durch Schulung und Training zwar verbessert werden kann aber kaum bzw. nur in trivialen Fällen auf 100% gebracht werden kann. Und damit wären wir bei einer Interpretation von QWAN angelangt, mit der auch Du Christian leben können müsstest. Oder liege ich da ganz falsch?
Re:Strukturmerkmale und Musteransatz im didaktischen Design
Kommentar von ralfhilgenstock am 24.05.2009 18:25
Ich möchte an dieser Stelle nur ganz kurz auf einen Ansatz im E-Learning-Bereich verweisen.
LAMS ist eine Lernplattform, die stark an den Learning Design-Konzepten ausgerichtet ist. Sie erlaubt u.a. Lernprozesse visuell zu designen und diese aber auch zu kopieren, um sie mit anderen Inhalten weiter zu nutzen.
Nunmehr wird hier ein Activity Planner (derzeit noch Beta) eingeführt:
The LAMS Activity Planner has been designed to produce runnable learning activities that can be readily used with students. It provides a scaffold that guides teachers through the design process so that they can add their own content to educationally sound learning activities. In this way, the LAMS Activity Planner will support the sharing of effective pedagogy. It encourages the reuse of existing learning designs, resources and learning objects without requiring lecturers to become experts in learning design or theory.
Mehr dazu unter http://wiki.lamsfoundation.org/display/planner/Activity+Planner
Re:Strukturmerkmale und Musteransatz im didaktischen Design
Kommentar von chrisimweb am 01.06.2009 22:31
Lieber Peter,
ich brauchte diesmal auch etwas länger…ich habe mich parallel mit den 15 Eigenschaften vertiefend beschäftigt und die Ergebnisse der Forschungswerkstatt aufgearbeitet. Ich muss sagen, dass die Diskussion sehr nahe an Alexanders Idee lag und mich gedanklich weit nach vorne gebracht hat 🙂
Zu 1: Ich wollte die 15 Eigenschaften nicht wegwischen sondern eher einem Test unterziehen. Aus wahrnehmungspsychologischer Sicht ist keine Eigenschaften wirklich neu (außer vielleicht „The Void“), sondern unter anderem Namen bekannt. Und mich hat gewundert, dass andere Wahrnehmungsprinzipien verschwunden sind.
Zudem denke ich, dass Formen (Zentren) nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für ein ästhetisches Erlebnis der Lebendigkeit sind. Denn die Wirkung hängt von der Gesamtkonfiguration der Zentren ab – von der Form-ation.
Kurzum: bei Alexander gibt es Bildbeispiele, bei denen ich einfach keine Lebendigkeit empfinde, auch wenn ich die 15 Eigenschaften wahrnehmen kann.
Zu 2: Das sehe ich auch so. Muster sind im Prinzip komplexe Konfigurationen von Zentren, wobei ein Zentrum selbst ein strukturelles Muster ist und umgekehrt Muster die strukturelle Ordnung von Zentren beschreiben. Der Zentrumsbegriff betont die Nicht-Isoliertheit, der Musterbegriff betont das Wiederkehrende.
zu 3 und 4: Ich glaube, dass die 15 Eigenschaften in erster Linie für das Zusammenfassen und Abgrenzen von Formen (oder Kategorien) hilfreich sind. Sie unterstützen somit eine Formen- und Methodenlehre in der Pädagogik.
Zur Interpretation von QWAN:
Ich stimme mit Punkt 1 und 3 überein. Bei Punkt 2 bin ich mir nicht sicher. Denn die Wirkung hängt meiner Ansicht nach vom Vorwissen des Individuums ab. Ich stimme definitiv zu, dass man durch Training sehr hohe Übereinstimmung bei den Befragten/BeobachterInnen/Beurteilenden erreichen kann. Aber testen wir dann wirklich die Lebendigkeit oder nicht vielmehr, dass man Probanden auf ein bestimmtes Urteil hin trainieren kann? Sicherlich kann ich auch einem Hardrock-Fan Kriterien beibringen, nach denen er die Güte von Volksmusik beurteilen kann. Aber empfindet er dann auch die Lebendigkeit oder hat er nur das Urteilen gelernt? Eine etwas ausführlichere Erläuterung folgt in einem gesonderten Kommentar.
Liebe Grüße,
Christian
Re:Strukturmerkmale und Musteransatz im didaktischen Design
Kommentar von chrisimweb am 01.06.2009 22:37
Ergänzend zur Objektivität hier ein paar Überlegungen aus meiner Zusammenfassung der Forschungswerkstatt.
Betrachten wir die Zentren einmal als Kategorien oder Formkategorien, die aufgrund der 15 Eigenschaften (oder anderer Eigenschaften) entstehen.
Ich gehe davon aus, dass die Gesetzmäßigkeiten, wie Kategorien und Kriterien zur Abgrenzung der Kategorien entstehen, durchaus intersubjektiv invariant sind, d.h. für jeden Menschen gleich funktionieren. Unterschiede gibt es hier „lediglich“ bei der Sinneswahrnehmung (Farbenblindheit, Hörschwächen usw.) und der Auffassungsgabe (Fähigkeiten zur kognitiven Verarbeitung). Doch auch wenn wir niemals nachvollziehen können, wie ein Individuum die „Röte“ empfindet, so können wir doch von einer objektiven Eigenschaft der „Röte“ sprechen, die sich messen lässt.
Aus diesen universellen (noch nicht vollständig bekannten) Gesetzmäßigkeiten bei der Wahrnehmung folgt jedoch nicht, dass auch die gebildeten Kategorien gleich sind. Denn nicht nur der Verarbeitungsprozess sondern auch der Input, d.h. die bislang wahrgenommenen Gegenstände spielen eine entscheidende Rolle. Da es sich hier stets um komplexe Zusammensetzung von Merkmalen und Zuständen handelt, gelten die Gesetze der Komplexitätstheorie: kleinste Unterschiede in den Anfangsbedingungen können zu großen Effekten führen. Sowohl Kategorien als auch Kriterienkenntnis sind nicht immer intra-subjektiv. Was zum Beispiel ist die wahre Kategorie guten Unterrichts? Ist es die Art des Unterrichts in österreichischen, deutschen oder amerikanischen Schulen? Und welche Kriterien sollen entscheidend sein, um Objekte voneinander abzugrenzen? Auch hier hängt die Kritikfähigkeit von Vorkenntnissen ab: Um ein Theaterstück als Drama oder Tragödie zu kategorisieren muss ich wissen, welche strukturellen Kriterien etwas zu einem Drama oder einer Tragödie machen. Zur Beurteilung, ob etwas ein gutes oder schlechtes Drama war, muss ich ebenfalls die Kriterien kennen, die etwas zu einem Drama werden lassen. Damit ist die Kritik von den individuellen Erfahrungen abhängig, d.h. von den subjektiv bekannten Kategorien (Formkategorien). Diese Kategorien zeichnen sich zudem durch ganzheitliche Struktureigenschaften aus: mit einer bestimmten Gestaltwahrnehmung sind auch Emotionen verbunden – so kann eine Gestalt für Person A neutral, für Person B jedoch beängstigend wirken.
Objektive Wahrnehmung der Lebendigkeit und der Güte würde eine Objektivierbarkeit der Kriterien und Kategorien bedeuten. Offen bleibt jedoch die Frage, ob diese Objektivierung eine sozial ausgehandelte Konvention ist oder tatsächlich die wahren Kriterien und Kategorien repräsentiert. Dass sich Schönheitsideale in Kulturen und Epochen unterscheiden spricht eher gegen wahre Kriterien und Kategorien.
Allerdings lassen sich Kategorien und Kategorievorstellungen durch Sprache kommunizieren. Indem ich definiere, was ein Drama ist, kann ich Kriterien festlegen, deren Vorhandensein ich bei einem Theaterstück testen kann. Indem ich festlege, was ich mit einer Unterrichtsmaßnahme erreichen möchte, kann ich testen ob mir dies bei der Umsetzung gut gelingt, ob also die Kriterien (Abgrenzungsmerkmale) erfüllt sind. Zur Beschreibung der Kriterien benötigt es (didaktische) Dimensionen, in denen sich die Merkmale ausprägen.
Während der Forschungswerkstatt kam der Gedanke auf, die Lernförderlichkeit als Lebendigkeit des Unterrichts bzw. der Pädagogik aufzufassen. Ideale der Pädagogik sind u.a. die Bildung, Förderung, Entwicklung und Entfaltung die Individuums. Jede Form (Methode, Arrangement, Szenario, usw.), die diesen Idealen (=Kategorien) entsprechen, ist daher eine gute Form.
In dem Moment wo wir davon ausgehen, dass unterschiedliche Akteure zu Recht mit verschiedenen Idealen ausgestattet sein dürfen, müssen wir akzeptieren, dass die gute Form bzw. die Güte der Form unterschiedlich beurteilt wird. Denn Urteilen heißt ja gerade, eine Form einer Kategorie zusprechen. Die einzige Möglichkeit von objektiven (und wahren) guten Formen zu sprechen, besteht darin, Ideale als objektiv und wahr zu betrachten. Unterschiedliche Ideale und Vorstellungen müssten demnach implizieren, dass sich zumindest einer irrt. Dass wir für unsere Ideale streiten und versuchen, andere von diesen zu überzeugen, ist ein Hinweis darauf, dass wir unsere eigenen Ideale für richtig und wahr halten.
Beispiele für die Pädagogik:
Eine gute Methode ist eine, die ihren intendierten Zweck erfüllt. Maßnahmen, die pädagogische und didaktische Ziele effektiv, effizient und nachhaltig erfüllen haben eine gute Form.
Eine Übung ist z.B. dann eine gute Übung wenn der Lernende tatsächlich übt und dabei etwas langfristig lernt, z.B. die Anwendung von Rechenregeln unter Aufsicht des Lehrers. Eine schlechte Übung ist eine, bei der nicht wirklich etwas eingeübt wird, z.B. weil sie schwer verständlich und schlecht dargestellt ist und mehr Zeit für das Verstehen als für das Üben der Rechenregeln verwendet wird. Wenn es gerade um das Verstehen komplexer Sachverhalte geht, dann ist dies allerdings eine Übung anderer Art. Eine gute (schöne) Übung ist also die, in der das geübt wird was geübt werden soll und diese Übung eine Wirkung erzielt. Schlechte Übungen sind auch zu leichte oder zu schwere Aufgaben.
Ganz allgemein ist die Übung eine gute Form der Didaktik, denn sie ist prinzipiell geeignet das höhere Ziel der Lernförderlichkeit zu erreichen.
Die Übung ist also eine gute Form hinsichtlich der Lernförderlichkeit, man könnte sagen Übungen sind eine richtige Ausprägung der Kategorie Lernförderlichkeit. Übungen stellen aber auch selbst wieder eine Kategorie dar, die unterschiedlich gut ausgeprägt werden kann:
„Üben durch Anwenden“ ist meist besser als „Üben mit Multiple Choice“. Aufgaben mit angepassten Schwierigkeitsniveau sind wiederum gute Formen hinsichtlich der Kategorie „Üben durch Anwenden“.
Für Pädagogik und Didaktik gilt daher: Die Güte der Form bezieht sich einerseits auf das Einlösen idealer Vorstellung. Zum anderen bezieht sich die Güte darauf, wie gut eine konkrete Form der allgemeinen Form entspricht (Handelt es sich bei einem Seminar um ein gutes, den Sinn und Zweck eines Seminars erfüllenden Exemplars? Handelt es sich um eine gute oder schlechte Vorlesung?) Ein schlecht ausgeprägter Vortrag ist gleichzeitig eine schlecht ausprägte Wissensvermittlung; die bedeutet jedoch nicht, dass die allgemeine Form des Vortragens eine schlechte Ausprägung der Kategorie Wissensvermittlung ist.
LG,
Christian
Re:Strukturmerkmale und Musteransatz im didaktischen Design
Kommentar von ralfhilgenstock am 07.06.2009 22:45
Hallo Christian,
ich hake an zwei Stellen ein, einerseits den Zentren-Begriff und andererseits den Objektivitätsansatz.
Alexanders Begriff der Zentren habe ich bisher primär räumlich verstanden. Also 'Küche, Essraum oder Wohnraum' oder 'Supermarkt, Kiosk, Marktplatz, Bahnhof, Park' o.ä. Das kann ich ganz banal auch auf den Bildungsbereich übertragen (Arbeits-, Lernplatz, Klasse, Lehrerzimmer, Schulhof, Aula, Pädagogisches Zentrum,...).
Diese Orte speisen sich aus kleineren Systemen und sind ein Ort der Vernetzung, der sozial gebildet wird, man könnte auch angeeignet sagen. Das Zusammentreffen verschiedene didaktischer Elemente (Muster) im Rahmen der Arbeit mit/in einer Gruppe Lernender kann ich ebenfalls als Raum (Zentrum) interpretieren, da es in der Regel räumlich verankert ist.
Der Ansatz der verallgemeinernden Objektivierbarkeit geht m.E. genau an Alexanders Ansatz vorbei. In den 60er Jahren wurde in der Architektur die objektiv beste, sparsamste, modernste Architektur ausgerufen und es entstanden Einheitswohnungen in Hochhäusern mit einheitlichem Aufbau. Genau das kritisiert Alexander auch mit Bildern als nicht lebendig. Nach objektivierten Kriterien schien es gut zu sein. Diese waren aber von der individuellen Interpretation der Menschen und der Sinngebung des sozialen Verbundes entkoppelt.
Eine gute Form oder Lernförderlichkeit entsteht aber nur in einem konkreten Kontext. Ich kann mit einer zweiten Gruppe zum gleichen Thema häufig nicht exakt die Prozesse wiederholen, die ich bei einer anderen Gruppe bewirkt/gestaltet habe.
Ich habe gerade Presence (Exploring profound change in people, organizations and society von Peter Senge, C. Otto Scharmer, Joseph Jaworksi, Betty Sue Flowers) gelesen. Im Unterschied zu Alexander betonen sie stärker das prozesshafte und sind damit näher an der Bildungsarbeit. Dabei entwerfen sie einen U-Prozess entworfen (Scharmer entwickelt diesen in 'Theorie U: Von der Zukunft her führen: Prescencing als soziale Technik' weiter).
Interessant ist, dass sie sich auf die gleichen Grundlagen wie Alexander (z.B. Maturana, Varela) beziehen.
Sie beschreiben mehrfach Prozesse in z.T. zufällig zusammen gewürfelten Gruppen in denen eine gemeinsame Sicht auf die Dinge und eine Ausrichtung auf gemeinsame Anliegen hin erfolgt. Diese Prozesse und Momente lassen sich nicht vordefinieren. Sie passieren, sie können jedoch gefördert werden.
Dahinter stecken jedoch intuitive große Übereinstimmungen im Wertebereich. Wenn ich das nun auf Alexander rückübertrage, so würden diese Gruppen bestimmte Eigenschaften übereinstimmend als gültig beschreiben.
Hier ergab sich für mich eine Verbindung zu Alexanders Feststellung, dass in Gruppen eine hohe Übereinkunft über Annahmen festgestellt werden kann. Alexander geht nicht davon aus, dass alle Eigenschaften immer auftreten, um etwas als Ganzheit/Lebendigkeit zu konstituieren.
Objektivität wäre demnach für mich nur Gültigkeit in einem Kontext für die dort Beteiligten. Die 'Güte der Form' existiert im Kontext der Lösung eines Problems. Die Frage, was ist 'gute Bildung' (=ideale Vorstellung) ist für mich jedoch zu abstrakt, um sie beantworten zu können, weil sie von einem Problemkontext gelöst ist.
Es scheint mir sehr entscheidend genauer auf die Frage zu fokussieren: Was ist eigentlich das Problem? und damit anschließend auch Was ist eigentlich das angestrebte Ziel? Das eine geht aber nicht ohne das andere.
Gruß
Ralf
Re:Strukturmerkmale und Musteransatz im didaktischen Design
Kommentar von baumgartner am 14.06.2009 19:43
Hallo Ralf,
soweit ich es verstehe, ist "Zentrum" bei Alexander nicht bloß in dem engen räumlichen Sinne zu verstehen, wie Du es ansprichst (Küche, Supermarkt, Schule, Schulklasse etc.) Es sind "entities", die Teil eines Ganzen sind und mit dem Ganzen in einer Beziehung stehen. Also hat z.B. auch ein Ornament seine Zentren. Zwar stimmt auch Deine Auffassung, aber Zentren sind weit mehr als soziale oder kulturelle Zenten, sie sind auch nicht im Sinne der Gravität zu verstehen, ein Ort, worum andere Teile "kreisen", der im Zentrums steht etc.
Vielleicht hilft nachfolgendes Zitat:
"I use the word center to identify an organized zone of space – that is to say, a distinct set of points of space – which, because of its organization, because of its internal coherence, and because of its relation to its context, e x i b i t s c e n t e r e d n e s s, forms of a local zone of relative centeredness with respect to the other parts of space." (TNoO, Vol I, S.84, Hervorhebung CA) - Auch die weiteren Zeilen des Absatzes von dem ich zitiert habe, sind aufschlussreich, weil sie das, was ich oben paraphrasiert habe, verstärken.
LG
Peter
Re:Strukturmerkmale und Musteransatz im didaktischen Design
Kommentar von HelmutLeitner am 16.06.2009 11:38
Ralf, Peter,
es scheint mir eine Schweirigkeit Alexander'scher Terminologie zu sein, dass sich zwei Bedeutungen von "Zentrum" mischen.
(1) der allgemeine systemtheoretische Begriff von "center" als ein Begriff für jedes Element im System. Alexander schreibt irgendwo in TNoO "a center ... is ... what we can remember".
(2) die spezielle Eigenschaft oder Kategorie des "strong center", das Funktion und Geometrie verbindet.
Jedes "strong center" ist auch ein "center", aber nicht jedes "center" ist ein "strong center".
Peter folgend, könnte man sich die Frage stellen, ob ein dezentrales oder ausgedehntes Zentrum auch ein "strong center" (ich sag mal "ausgeprägtes Zentrum") sein kann?
Ich würde das mit ja beantworten, und einfach einen Fluss (sagen wir mal den Nil) als Beispiel nehmen. Zweifellos für den Menschen seiner Zeit räumlich nicht mal erfassbar, eventuell in seinem Lauf gar nicht lokalisiert, aber von funktionaler Zentralität im Denken und Tun.
lg Helmut
Re:Strukturmerkmale und Musteransatz im didaktischen Design
Kommentar von Frank Vohle am 13.07.2009 10:39
Die Diskusion ist schwindlig hoch :-), ich möchte zwei Anmerkungen nachschieben:
1) Zentren: Man sieht die Schwierigkeit, unterschiedliche Typen von Zentren (strong, räumlich, zeitlich, kulturell etc.) g l e i c h z e i t i g zu denken. Peter vermutet in der Teil-Ganzes-Beziehung eine Lösung, wobei er sich auf Alexander bezieht. „I use the word center to identify an organized zone of space – that is to say, a distinct set of points of space – which, because of its organization, because of its internal coherence, and because of its relation to its context, e x i b i t s c e n t e r e d n e s s, forms of a local zone of relative centeredness with respect to the other parts of space." (TNoO, Vol I, S.84, Hervorhebung CA) Da Herr Leitner weiter unten den „Fluß“ als Verständigsmetapher anspricht, will ich hier noch ein letztes mal 😉 auf D. Bohm und sein passendes Bild „Strudels im Fluß“ hinweisen (wie man sich die Teil-Ganze-Beziehung, die multiplen, kohärenten, abhängige Zentren denken kann.) Bohm sagt sinngemäß, dass die Wirklichkeit wie ein Fluss ist, auf den es eine Vielzahl von Strudeln gibt. Diese hängen mit dem Fluss zusammen, werden von ihm hervorgehoben, bilden aber eigenständige, stabile und kohärente Zentren aus. Sie haben nur eine begrenzte Lebensdauer (Sichtbarkeit, Expliziertheit), ehe sie sich wieder in den Fluß einfalten. Diese Analogie (immer nur eine Krücke) hilft mir bei der Vorstellung der autonomen (verbunden und getrennt) Zentren.
2) Formeigenschaften: Ich finde die Zeichnungen von Herrn Leitner zu den Formeigenschaften sehr anregend. Aber die Eigenschaften selber verweisen auf positive Z i e l z u s t ä n d e, was Alexander mit Lebendigkeit umschreibt. Wenn man aber ein (pädagogisches) Interesse an der E n t w i c k l u n g von Zentren hat (Genese, generischer Gehalt), dann ist nicht der Zielzustand, sondern der zielerzeugende W i d e r s p r u c h von Interesse. Die Identifikation von produktiven Widesprüchen wird sehr erfolgreich in der russischen TRIZ-Methode umgesetzt siehe hier http://www.triz.it/ (siehe TRITZ-Lösungsprinzipien). Es wäre es aus meiner Sicht produktiv, wenn man diese TRIZ-Prinzipien mit den Formeigenschaften zusammenbringt.
Frank