Diskussion um Entwurfsmuster-Ansatz starten

Christian Kohls hat eine sehr lange Rückmeldung in meinem Weblog vorgenommen. Weil sie wichtig ist und auch einige Links enthält, die im Kommentar nicht direkt angesteuert werden können, habe ich – mit seinem Einverständnis – seine Anmerkungen als eigenen Weblog-Artikel hier eingefügt. Die Gliederung, Zwischenüberschriften und Formatierungen stammen von mir (pb).


Kommentar von Christian Kohls

Christian Kohls hat eine sehr lange Rückmeldung in meinem Weblog vorgenommen. Weil sie wichtig ist und auch einige Links enthält, die im Kommentar nicht direkt angesteuert werden können, habe ich - mit seinem Einverständnis – seine Anmerkungen als eigenen Weblog-Artikel hier eingefügt. Die Gliederung, Zwischenüberschriften und Formatierungen stammen von mir (pb).

Christian Kohls zu Entwurfmustern

Ich denke, unser wichtigstes Ziel des Workshops, nämlich eine Diskussion über den Entwurfsmuster-Ansatz zu starten und kritische Fragen herauszustellen, haben wir erreicht. Dies zeigen die drei Beiträge auf dieser Webseite, über die ich mich sehr gefreut habe. Im wesentlichen stimme ich mit vielen der hier und den beiden anderen Artikeln genannten Kritikpunkte überein. Insbesondere fällt auf, dass die theoretischen Hintergründe oft aus dem Blick geraten – dies liegt sicherlich am Wesen der Pattern Community, die sich traditionell eher der Praxis als der Theorie verbunden fühlt.

Entwurfsmuster an der Schnittstelle von Theorie und Praxis

Ich selbst sehe dagegen in Entwurfsmustern gerade die Schnittstelle zwischen beidem: Das Herausarbeiten von Regelmäßigkeiten auf einer abstrahierten Ebene ist ein Schritt in Richtung Theoriebildung. Ich würde sogar soweit gehen und behaupten, dass Patterns nichts anderes als theoretische Abhandlungen über den Gegenstand an sich sind. Da in diesem Fall der Gegenstand stets das praxisrelevante Handeln und Gestalten ist, wird in der Pattern Community oft betont, dass es sich um praktisches und nicht um theoretisches Wissen handelt.

Ich sehe darin keinen Widerspruch, sondern verstehe die in Mustern zusammengefassten Hypothesen (Muster behandeln immer multikausale Zusammenhänge) eher als Theorien der Praxis. Als solche müssen sie konkret genug sein in dem Sinne, dass sie einen Plan für die Realisierung der beschriebenen Form enthalten. Die Theorie findet ihren Platz meines Erachtens dort, wo es um die Begründung einer Maßnahme, Methode, oder Vorgehensweise geht. Somit sind vor allem die Forces, also die unterstellten Wirkkräfte, theoretischer Natur. Und hier ist die Kritik von Peter Baumgartner und einigen anderen Workshopteilnehmern sehr berechtigt, dass eine Verbindung zu bereits existierenden didaktischen Modellen in der Regel nicht erfolgt sondern eigene Begründungen und Verallgemeinerungen von den Autoren eingebracht werden. Dies gilt auch für die meisten Muster, die ich bislang beschrieben habe. Dies liegt zum einen – ich gebe es zu – an einer gewissen Ignoranz bereits existierender Theorien seitens der Informatiker. Doch zwei weitere Gründe sind zu nennen.

  • Zum einen berücksichtigt der ganzheitliche Ansatz der Entwurfsmuster nicht nur die pädagogisch-didaktischen Herausforderungen sondern auch organisatorische, technische, politische, finanzielle usw. Rahmenbedingungen der Umwelt.
  • Zum anderen lassen sich Theorien nicht immer guten Gewissens einem Entwurfsmuster zuordnen, gerade weil die Theorien zu allgemein sind.

Beispiel: Ich hätte für meine Entwurfsmuster für interaktive Grafiken sehr gerne (etablierte) theoretische Begründungen einfließen lassen, teils ist dies auch gelungen. Doch oft sind die theoretischen Prinzipien der Art „Interaktivität ist gut“ (oder die Multimedia-Prinzipien von Richard E. Mayer) nicht angemessen, da der Nutzen nicht an der Interaktivität an sich sondern an der Interaktivitätsform und der passenden Anwendung hängt. Doch dieser Bezug, diese Präzisierung geht oft in Theorien unzulässig verloren. Hier sehe ich den großen Nutzen von Mustern: sie sind für die Praxis konkreter (relevanter) und auch auf theoretischer Ebene meist präziser.

Wissenschaftlichkeit von Pattern?

Auf dem Workshop kam wieder einmal die Frage nach der Wissenschaftlichkeit von Patterns auf. Erkenntnistheoretisch bezieht sich bereits bei Aristoteles die Erkenntnis des Allgemeinen nicht nur auf die Erfahrung der Umwelt sondern auch auf die Erfahrung des Handelns – so geht es etwa in der Medizin nicht nur physische oder physiologische Zusammenhänge sondern auch um die Wirkung ärztlichen Handelns (Handwerk): Der Kamillentee hilft bei Fieber. Das wissenschaftliche liegt darin, dass auch Gründe und Ursachen bekannt sind.

Beides wird bei Entwurfsmustern vor allem in den Forces festgehalten. Selbst die sehr einfachen Entwurfsmuster „Patterns for the Doctoral Student“ sind daher ein Stück mehr als Binsenweisheiten, da sie das Rational explizit (und damit empirisch angreifbar) machen. Das Problem mit Handlungswissen ist gerade, dass das implizit beim Experten vorhandene Wissen für ihn trivial, für den Novizen aber durchaus lehrreich ist. Als die Entwurfsmuster im Bereich des Softwaredesigns Einzug erhielten, gab es ebenfalls das „So what?“-Problem. Erfahrene Softwaredesigner haben in den Mustern nichts neues sondern nur ihre lang erprobten Techniken wieder gefunden.

Das „Neue“ aber liegt in dem Herausstellen und Verallgemeinern dieser Techniken. So sind etwa neu entdeckte Handlungsweisen einer Tierart keineswegs neu für diese Art. Die Frage ist eher, wann etwas beginnt trivial zu sein. Das Muster „Online-Schulung“ legt nahe, ein Bitte nicht stören!-Schild an die Bürotür zu hängen, damit man bei der Übertragung nicht unterbrochen wird. Im Prinzip ist dies trivial, doch wenn man diese Maßnahme auslässt, kann dies unangenehme Konsequenzen haben. Um die Notwendigkeit zu begründen und die generierten Werte dieser sehr einfachen Lösung im Detail zu erörtern, gibt es eine eigene Musterbeschreibung.  Hier bin ich mir selbst (als Autor) nicht mehr sicher, ob nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird.

Dreischritt wichtig auch bei einfachen Checklisten

Den Dreischritt halte ich aber auch hier für sinnvoll und einfachen Checklisten oder Tipps&Tricks-Sammlung überlegen. Tipps&Tricks sind immer nur in einem bestimmten Kontext anwendbar und adressieren bestimmtes Probleme. Die Nennung von Kontext und Problem bringt zusätzliche Erkenntnis. Für den adäquaten Einsatz der Tipps&Tricks ist das Verständnis von Kontext und Problem wichtig, um nicht einfach nur Vorschriften zu befolgen. Bei den Binsenweisheiten handelt es sich daher meiner Meinung nach um Muster auf sehr, sehr feiner Granularitätsstufe. Das literarische Pattern-Format ist dann sicherlich schnell überdimensioniert. Mini-Muster (wie etwa ein „Bitte nicht stören!“-Schild) bedürfen keiner ausführlichen Beschreibung, sie lassen sich oft in einem Satz abhandeln. Z.B. findet sich im Muster Schulungs-Konzept eine einfache Binsenweisheit als Stolperstein: „Um nicht durcheinander zu kommen, haken Sie die behandelten Stichpunkte mit einem Stift ab.“

Das hört sich nach einem einfachen Tipp an, ist aber ein vollständiges – wenn auch sehr, sehr kleines - Muster. Denn neben dem Tipp „Stichpunkt abhaken“, der die Lösung darstellt, wird auch die Begründung gegeben, denn der Kontext ist implizit „Schulungs-Konzept“ und das Problem ganz einfach „nicht durcheinander kommen“. In diesem Sinne ist der Tipp nicht präskriptiv sondern generativ, d.h. wegweisend statt vorschreibend. Wo liegt hier nun die QWAN, was ist bei einer so einfachen Regel das emergente Phänomen? Tatsächlich ließe sich dieser ganz kleine Tipp noch weiter in seine Bestandteile zerlegen, z.B. könnte man erörtern, warum der Trainer durcheinander kommt (welche Wirkkräfte sind hier verantwortlich?) und wieso das Abhaken wieder Orientierung gibt (warum werden gerade durch diese Lösung die Wirkkräfte ausbalanciert?). Es fällt schwer, zu benennen, was im Detail gut daran ist, seine Stichwortliste abzuhaken, denn es werden gleich mehrere Ziele erfüllt (z.B. unmittelbare Anzeige wo ich gerade bin, was schon abgearbeitet ist und was noch folgt), die Qualität lässt sich nicht auf ein einzelnes Merkmal reduzieren, die Anforderungen auch nicht.

Natürlich macht es keinen Sinn, diese kleinsten Tipps als eigenständige Muster auszuformulieren. Sinnvoll ist es jedoch, auch Tipps nicht nur als Anweisungen sondern als Lösungen für ein Problem in einem Kontext zu behandeln. Spannender sind sicherlich die Muster höherer Ebenen, die sich aus vielen solcher kleiner Muster zusammensetzen und damit neue emergente Eigenschaften erzeugen. Solche Muster sind aufgrund ihrer Komplexität nicht mehr trivial und beinhalten oft auch neue (d.h. in dem Fall bislang nicht explizierte) Erkenntnisse. Über den erkenntnistheoretischen Wert von Entwurfsmuster wird noch mehr zu sagen sein; ich hoffe, bis zum Symposium „The challenges of the design pattern paradigm for the development of learning environments and experience“ auf der CAL 2009 eine ausgereiftere Position ausgearbeitet zu haben. Weitere Überlegungen finden sich in einer Diskussion im Planet Blog.

Beste Grüße und vielen Dank,

Christian Kohls

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