Academic Writing – Neues Buchprojekt

Dieser Beitrag ist die erste Folge einer Serie von Blogposts. Hier stelle ich – quasi als Einleitung – die Idee für ein neues (englisch-sprachiges) Buchprojekt vor: Academic Writing in a Digitized World (Arbeitstitel). In den weiteren Folgen werde ich in lockerer Folge einzelne Aspekte näher beleuchten.

Es ist jetzt längere Zeit ruhig auf meinem Weblog geworden. Der Grund dafür sind meine Vorarbeiten für ein neues Buchprojekt: Academic Writing in a Digitized World (Arbeitstitel).

Wenn ich Vor-Arbeiten sage, dann meine ich damit, dass sowohl die Grundstruktur als auch viele der neuen Ideen noch nicht voll ausgegoren waren. Ich wollte sie daher nicht einzeln, ohne Zusammenhang und dazu auch noch unfertig, quasi im Rohzustand, hier veröffentlichen. Zwar bin ich nach wie vor noch am Anfang des Projekts, aber es gibt zumindest ein paar fixe Eckpunkte, um die herum ich Weblog-Artikel positionieren kann.

Büro mit vielen Zettelkästen als Grundlage für Academic Writing
Kai Schreiber aus Münster, Deutschland - zettelkasten (CC BY-SA 2.0)

Publikationsstrategie für Academic Writing

Das Buch wird in Englisch geschrieben und in der Online-Version frei erhältlich sein. Ich verwende dazu das R Paket bookdown, das Cross Media Publishing ermöglicht. Das heißt, dass mein Text gleichzeitig für eine Webseite, eBook (ePub & Mobi), LibreOffice (bzw. MS Word) und PDF (für die Printausgabe) aufbereitet wird.

Ein weiteres Novum ist, dass der Prozess der "Buchwerdung" mitverfolgt werden kann. Nach einer Vorlaufzeit, wo ich die Buchstruktur aufsetzen werde, plane ich alle weiteren Änderungen direkt im Internet einsehbar zu machen. Ich erhoffe mir damit Rückmeldungen bereits im Schreibprozess. Ein gewisser interner Vorlauf ist jedoch aus meiner Sicht notwendig, denn sonst wird nicht deutlich, worum es mir inhaltlich geht. Ohne diese Grundstruktur können Kritiken, Änderungsvorschläge etc., nicht produktiv das Buch mit gestalten. (Ich hoffe, dass ich etwa im März 2023 soweit bin, dass ich 1-2 Kapitel bereits öffentlich zugänglich machen kann.)

Arbeitsprozesse und digitale Werkzeuge

Im Buch geht es um Veränderungen, die durch den Digitalisierungsprozess angestoßen wurden und den wissenschaftliche Forschungs- und Arbeitsprozess in zunehmenden Maße verändern. Dabei möchte ich auf zwei wesentliche Schwerpunkte eingehen:

Ich werde nicht nur beschreiben welche Möglichkeiten es mit modernen digitalen Werkzeugen gibt, sondern vor allem wie sich dementsprechend auch der Arbeitsablauf (Workflow) der Forschung ändert. Es geht daher nicht bloß um einzelnen Werkzeuge, denn die ändern sich ständig. Vielmehr möchte ich zeigen, wie mit Hilfe moderner Software sich die Infrastruktur für Forschende und damit auch wissenschaftliches Schreiben einem radikalen Wandel unterzogen wird.

Zwei Herausforderungen für Academic Writing

Allerdings ist nicht zu leugnen, dass Detailkenntnisse digitaler Arbeitshilfen für einen effizienten Arbeitsablauf wesentlich sind. Damit sind jedoch für eine Buchpublikation zwei Probleme verbunden:

  • Wie kann ein Buch mit beschränkten Platz (limitierte Seitenanzahl) der Vielzahl von digitalen Apps gerecht werden?
  • Wie kann ein Buch, das eine längere Wirkungsdauer haben sollte, den raschen Wechsel auf dem Softwaremarkt (neue Produkte, Updates, etc.) berücksichtigen?

Bei dem deutschsprachigen Buch , das ich gemeinsam mit Sabine Payr 2001 geschrieben habe, haben wir eine Trennung in ein allgemein gehaltenes Buch und in eine Webseite vorgenommen. In einer zweiten überarbeiteten Fassung, die es nur als frei zugängliche Webseite gibt , habe ich überhaupt nurmehr jene Teile veröffentlicht, die keine Softwareunterstützung brauchen.

Das ist aber aus heutiger Sicht wenig sinnvoll: Moderne digitale Werkzeuge sind bereits so stark mit den Arbeitsprozessen verbunden, dass sie davon nicht getrennt werden können. Manche wissenschaftliche Arbeitsweisen haben sich gerade deshalb etabliert, weil es dafür neue Hilfsmittel gibt, die effizientes Arbeiten mit diesen Werkzeugen erst ermöglichen.

Ich wähle daher für das neue Buchprojekt einen anderen Ansatz, um der Integration von Werkzeug und Arbeitsprozess gerecht zu werden: Viele neue Arbeitsprozesse beruhen auf die Nutzung einer bestimmte Kategorie von Werkzeugen, also Instrumente, die bestimmte Funktionen beinhalten. Ich werde den damit verbundenen neuen Workflow mit jeweils nur einem repräsentativen Vertreter dieser Gruppe im Buch beschreiben. Während ich den Fokus auf die neue Arbeitsmethode lege, illustriere und konkretisiere ich die verschiedenen Schritte mit jeweils einem spezifischen Werkzeug. Eine weitere Einschränkung ist durch meine Nutzung von macOS bzw. iOS Betriebssystem gegeben. Daher werde ich in den begleitenden Website eine Liste von plattformübergreifenden Links zu anderen, ähnlich funktionierenden Werkzeugen geben, die ebenfalls den neuen Arbeitsprozess unterstützen.

Im Zusammenhang mit der frei zugänglichen Online-Version hoffe ich darauf, dass Anknüpfungspunkte für Anleitungen aus der Community entstehen, die den spezifischen Arbeitsprozess mit jeweils anderen Werkzeugen und für andere Plattformen illustrieren. Mein Ziel ist es, im Buch die neuen Arbeitsweise mit jeweils einer Software-Applikation zu illustrieren und in der begleitenden Website ähnliche Workflows mit anderen Werkzeugen zu beschreiben bzw. zu diskutieren.

Digitaler Zettelkasten

Im Zentrum des geplanten Lehrbuches "Academic Writing" zur wissenschaftlichen Arbeitsmethodik wird der Aufbau und die Nutzung eine digitalen Zettelkastens stehen, wie ihn bereits Luhmann – damals noch ohne Softwareunterstützung – erfolgreich für seine Publikationen realisiert hat. Seine im Zettelkasten materialisierte extrem effiziente Forschungsmethode wird besonders in den letzten Jahren sowohl im deutschsprachigen Raum aber auch international vielfach rezipiert, analysiert und auf die heutigen digitale Möglichkeiten adaptiert.

Photo eines Zettelkastens
Schlagwortkatalog (Zettelkatalog) 1926-93 der Universitätsbibliothek Graz von Dr. Marcus Gossler, 29. Dezember 2005. (CC BY-SA 3.0)

Wiederum ist es aber nicht das Werkzeug (der – digitale – Zettelkasten) selbst, der alleine im Fokus steht, sondern die mit ihm verbundenen effizienten – aber auch effektiven – Arbeitsprozesse. Ich möchte zeigen, wie Inhalte erarbeitet und mit Notizen so dokumentiert werden, dass die darin versammelten Ideen nicht bloß archiviert (abgelegt) werden, sondern vielmehr als Inspiration für neue Ideen und Fragestellung dienen können.

Input

Es gilt dabei die verschiedenen Formen von eingehender Information so zu verarbeiten, dass die darauf aufbauenden Notizen synergetische Wirkung entfalten und sich gegenseitig befruchten. Je nach dem Modus in dem die Information repräsentiert (kodiert) ist, eröffnen sich verschiedene Zugänge mittels digitaler Werkzeugen: Wie werden Notizen zu gedrucktem Material (Dokumente, Bücher etc.) PDFs, Webseiten, eBooks, Audios und Videos so erzeugt, dass sie für den digitalen Zettelkasten geeignet sind? Wie werden all diese Quellen korrekt und für alle möglichen Publikationsorgane mit dem dem jeweils richtigen Zitierstil bibliografiert und referenziert?

Several digital apps provide different input modi for the Zettelkasten (Second Brain)

Several Capture Apps provide different Types of Input for Zettelkasten ("Second Brain") aus: (Location 908)

Zettelkasten

Wie wird der digitale Zettelkasten so aufgebaut, dass benötigte Informationen nicht nur gefunden und weiterverarbeitet werden können, sondern miteinander so vernetzt werden, dass neue Verknüpfungen und Denkpfade entstehen?

Explanation of the Zettelkasten knowledge management system von David B. Clear, Zettelkasten — How One German Scholar Was So Freakishly Productive, in: The Writing Cooperative, 31 December 2019

Output

Wie werden die mit eigenen Ideen angereicherten Notizen zu neuen Gedankengängen verdichtet, argumentiert, belegt und schließlich für unterschiedliche Publikationsorgane eingereicht bzw. veröffentlicht? Dabei gilt es eine ähnliche Vielfalt wie bei den Formen des Inputs zu beachten: Wissenschaftliches Kommunizieren und Publizieren ist längst nicht mehr auf gedruckte Seiten beschränkt.


Damit die obigen Zielstellungen nicht ganz im Allgemeinen verbleiben, einige Schlagwörter mit Hinweisen, was thematisch unter den betreffenden Abschnitten beschrieben werden wird:

Zettelkasten Apps

Ich werde mich auf Readwise konzentrieren, das in seiner neuen – noch Beta – Version Funktionen von sogenannten read-later-apps inkludiert; gleichzeitig aber auch von vielen anderen Annotationssystemen markierte Inhalte importieren kann.
Konkreten Arbeitsabläufe plane ich zentral mit Obsidian zu illustrieren, das mit einer Reihe anderer neuerer Notizen-Applikationen eine grafische Darstellung nicht nur der Links, sondern auch von Backlinks und sogar auch von nicht verlinkten Erwähnungen ermöglicht.
Prinzipien sind:
Werkzeuge, die die Citation Style Language (CSL) umsetzen. Hierbei werde ich mich vor allem auf Zotero konzentrieren.

Open Science

Eine weitere wichtige Änderung der Forschungsprozesse, auf die ich in dem Buch eingehen möchte, ergibt sich aus Arbeitsweisen, die für Open Science konstitutiv sind. Das sind (alphabetisch sortiert):

  • Open Access
  • Open Content
  • Open (Research) Data
  • Open Educational Resources
  • Open Knowledge
  • Open License
  • Open Research / Open Methodology
  • Open (Peer) Review / Open Evaluation
  • Open Science
  • Open Scholarship
  • Open Society
  • Open Source
  • Open (Research) Workflow

Viele in dieser Liste genannten Eckpunkte für Open Science sind derzeit noch im Fluss. Dementsprechend haben sich die dafür vorgesehenen Werkzeuge noch nicht etabliert und wird meine Beschreibung daher erst ansatzweise zukünftige Arbeitsmethoden beleuchten.

Wichtig wird es dabei sein, auch die Unterschiede zwischen Open Science, Science 2.0 or E-Science im Auge zu behalten. Es gibt zwar große Überlappungen, aber auch wesentliche Unterschiede zwischen diesen Forschungsansätzen: Mein Ansatz wird vor allem auf Open Science im Sinne von Open Knowledge geprägt sein. Ich verstehe darunter ein allgemeineres Konzept, das nicht auf Wissenschaft beschränkt ist, sondern generell eine Offene Gesellschaft (Open Society) zum Ziel hat.

Zum Unterschied von "Studieren und Forschen mit dem Internet" plane ich auch die ständige Einbeziehung und Integration datenbasierter Forschung. Dementsprechend werde ich auch dazu entsprechende Hinweise geben, die allerdings durch meine eigene Erfahrungen mit R, einer freien Softwareumgebung für statistische Berechnungen und graphischer Modellierung, geprägt sein werden. Aber auch hier hoffe ich, dass die Online Version einen brauchbaren Anknüpfungspunkt für verschiedene andere Systeme abgeben wird und insbesondere die große und wichtige Python Community für Data Science auch einbezogen wird. Die Entwicklung in R mit Quarto geht ja sowieso in eine integrative Richtung und bezieht derzeit bereits R bzw. R Markdown, Julia, Python, Observable JS und Jupyter Notebooks mit ein.

Zusammenfassung

Mir ist bewusst, dass das beschriebene (Buch-)Projekt ein monströses Unterfangen darstellt und wahrscheinlich viel zu groß angelegt ist. Möglicherweise muss ich "kleinere Brötchen backen" und meine inhaltlichen Ziele einschränken. Wenn ich sehe, dass das Projekt ausufert, dann muss ich mich wohl aus Zeitgründen – so sehr es mir auch wehtut –, für eine der beiden großen Schienen (Zettelkasten oder Open Science) entscheiden. Möglicherweise muss ich auch bei den exemplarischen statistischen Inhalten Einschnitte vornehmen. Das wird sich aber erst im Zuge des Schreibprozesses erweisen.

Aber unabhängig von dem großen (Buch-)Projekt kann ich ja jederzeit einzelne Gedankensplitter (Thought Splinters) unsystematisch und sicherlich unvollständig veröffentlichen. Jetzt in der Pension bin ich ja auch nicht mehr von externen Evaluationen und wissenschaftlichen Konkurrenzdruck getrieben. Ich könnte mich also auch durchaus "Treiben lassen" und sehen wohin die Reise mich führt 😎. – Mal sehen, ob mich das Schreiben von Blog-Artikeln (ich plane etwa 2 Posts pro Woche) beim Schreiben des Buches unterstützt oder eher behindert.

Unabhängig davon, welche Formen die konkrete Ausgestaltung des hier beschriebenen Projekts annimmt, mein Ziel bleibt das Gleiche: Ich möchte versuchen, Elemente einer modernen, digital basierten wissenschaftlichen Arbeitsmethodik dem wissenschaftlichen Nachwuchs bzw. – wie es im Englischen so schön heißt – den ECRs (Early Career Scientists) näher bringen.


Literatur

Von Peter Baumgartner

Seit mehr als 30 Jahren treiben mich die Themen eLearning/Blended Learning und (Hochschul)-Didaktik um. Als Universitätsprofessor hat sich dieses Interesse in 13 Bücher, knapp über 200 Artikel und 20 betreuten Dissertationen niedergeschlagen. Jetzt in der Pension beschäftige ich mich zunehmend auch mit Open Science und Data Science Education.

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