Vorbemerkung
Das ist der erste von vier Artikeln, die sich mit dem Thema Hervorheben und Zusammenfassen beschäftigen:
- Texte markieren (dieser Artikel)
- Texte strukturieren
- Thematische Zusammenfassungen schreiben
- Grafische Zusammenfassungen erstellen
Ich stütze mich dabei vor allem auf das Buch von Fiona McPherson "Effective Notetaking" .
Zu jedem der vier allgemein gehaltenen Beiträge plane ich ergänzend einen begleitenden "How-to" orientierten Post. Darin zeige ich exemplarisch wie die angesprochenen theoretischen Richtlinien im Rahmen einer digitalen Lesekompetenz (siehe: Digital Reading – 5 Kompetenzen zum Lesen digitalisierter Quellen) umgesetzt werden können.
Texte markieren = Informationen hervorheben
Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden ist eine zentrale Lesefertigkeit. Unterstreichen beispielsweise ist eine Strategie um bestimmte Textpassagen hervorzuheben. Das kann bei Printmaterial mittels farbigen Textmarker oder bei eBooks durch Selektieren der Textstelle z.b. mit einem Finger erfolgen.
Texte markieren (Papier)
Texte markieren (eBook Reader)
Texte markieren – Ambivalente und überschätze Studientechnik
Es ist ein großer Irrtum zu glauben, dass sich mit dem Markieren von Texten automatisch die Merkfähigkeit des (gesamten) gelesenen Textes erhöht. Der wichtigste kognitive Aspekt beim Markieren von Texte besteht darin, dass die Aufmerksamkeit auf den hervorgehobenen Text gelegt wird. Außerdem verringert sich die Lesegeschwindigkeit, was unter Umständen ebenfalls einen positiven Effekt hat.
Texte markieren erhöht nur geringfügig die Behaltensrate der hervorgehobenen Passagen – und dies auch noch auf Kosten derjenigen Textpassagen, die nicht markiert wurden . Und zum Verständnis des Gelesenen trägt mechanisches Markieren von Texte gar nichts bei.
Es ist daher nicht nur wichtig, dass die "richtigen" Passagen markiert werden, sondern vor allem was mit dem Markierungen im Zuge des weiteren Verarbeitungsprozesses passiert. Werden Markierungen bloß gesammelt (gespeichert), dann ist der Lernerfolg zu vernachlässigen, und die Mühe war größtenteils umsonst. Aber selbst wenn die eigenen Notizen wieder – oder sogar mehrmals – gelesen werden, ist der Lernerfolg gering und vor allem nur kurzzeitig.
Texte markieren: Nicht immer hilfreich
Es gibt vier Umstände, wo das Markieren von Texten nicht hilfreich ist.
1. Markierter Text enthält Bekanntes
Das Hervorhebung bereits bekannter Ideen ist – selbst wenn es sich dabei um wichtige Gedanken beinhalten - kontraproduktiv. Einerseits ist die Markierung sinnlos, weil der Inhalt ja bereits bekannt ist. Andererseits konkurrenzieren gewusste Inhalte markierter Passagen mit Hervorhebungen von Textstellen, die Unbekanntes beinhalten.
2. Text ist sehr kurz
Bei sehr kurzen Textpassagen (1-2 Absätze) ist das Markieren von Texten nicht besonders hilfreich. Das gilt insbesondere dann, wenn es sogar eine Hervorhebung durch den Titel bereits gibt. Der verbleibende Text ist sowieso schon durch sein Kürze entsprechend kondensiert.
3. Text ist sehr anspruchsvoll
Wenn der Text zu "dicht" ist, d.h. zu viele neue Gedanken enthält, dann ist die extensive Wirkung von Markierungen problematisch. So hat die deutsche Ärztin und Psychologin Hedwig von Restorff hat bereits 1933 nachgewiesen, dass aus einer Vielzahl von Reizen jener, der sich am meisten von seiner Umgebung unterscheidet, am Besten erinnert wird . Der nach ihr benannte Restorff-Effekt basiert auf den Prinzip der guten Gestalt, einem Gesetz der Gestaltpsychologie.
Werden also zu viele Textpassagen markiert, dann dreht sich sogar der Fokus in der Aufmerksamkeit um: Nun gilt, dass Text, der nicht markiert wurde, die herausgehobene Ausnahme darstellt und eher erinnert wird! Zu viele Textpassagen zu markieren ist daher kontraproduktiv. Generell gilt als Richtwert, dass nicht mehr als 10% des Textes markiert werden soll.
Ich will damit nicht andeuten, dass sehr/zu anspruchsvolle Texte nicht gelesen werden sollen. Ob ein Text als sehr anspruchsvoll empfunden wird, hängt natürlich vom vorhandenem Hintergrundwissen ab. Dieses Hintergrundwissen lässt sich aber nicht bloß mit dem extensiven Markieren von Texten aneignen.
Trotzdem sollten anspruchsvolle Texte markiert werden. Aber sehr sparsam, d.h. maximal jeder zehnte Satz. Zusätzlich müssen verstärkt noch andere Methoden der Inhaltserfassung eingesetzt werden, auf die ich in späteren Beiträgen noch zu sprechen komme.
4. Komplexes Markierungssystem
Texte Markieren sollte kognitiv möglichst wenig anspruchsvoll sein. So würde die Einrichtung eines komplizierten Markierungssystems kontraproduktiv wirken. So wäre z.B. folgendes Farbenschema vorstellbar:
- gelb: Definitionen und Schlüsselbegriffe
- blau: Hinweise auf Literatur, Links und andere Ressourcen
- grün: wichtige Aussage
- rot: Beispiele
- grau: Daten, Zeitleiste
Diese komplexe System erhöht die kognitive Last beim Markieren. Die Umsetzung erfordert viel Aufmerksamkeit, die dem Prozess der Texterfassung dann abträglich ist.
Zusammenfassung
Markieren von Textstellen ist für sich genommen in drei Situationen besonders effektiv:
- Als ein Hilfsmittel sich zu konzentrieren
- Wenn genügend Zeit vorhanden ist
- Wenn der Text nicht zu dicht ist
Das Markieren von Textpassagen ist die am häufigsten angewendete Studientechnik. Sie wird jedoch in ihren Vorteilen bei weitem überschätzt. Der Erinnerungseffekt von markierten Stellen ist nicht nur gering, sondern auch von kurzer Dauer. Außerdem gibt es eine Reihe von Bedingungen, wo Texte Markieren sogar kontraproduktiv wirken kann.
Zur Erinnerung: Highlighting acts to direct attention. It does not improve recall as such. (Location 371)
Trotzdem ist Markieren sowohl als Lernstrategie als auch als Methode wissenschaftlichen Arbeitens wichtig und nicht zu vernachlässigen. Die Vorteile des Markieren von Textpassagen kommt vor allem im Zusammenwirken mit anderen Methoden zum Tragen. Das wird noch im Zuge meiner Artikelserie deutlich werden.
Als Ergänzung zu diesem Kapitel gibt es auch einen englisch-sprachigen H5P-Quiz, den ich aus dem hier bereits mehrmals zitierten Buch von Fiona McPherson Effective Notetaking entnommen habe.
Eine Antwort auf „Texte markieren“
[…] Noch einmal Peter Baumgartner und sein Buchprojekt „Academic Writing“. Zum Stichwort „Texte markieren“ hält er fest: „Es ist ein großer Irrtum zu glauben, dass sich mit dem Markieren von Texten automatisch die Merkfähigkeit des (gesamten) gelesenen Textes erhöht.“ Eine eher überschätzte Arbeits- und Lernstrategie, meint deshalb Peter Baumgartner, die nur in Verbindung mit anderen Methoden sinnvoll und wirksam ist. Peter Baumgartner, Gedankensplitter, 26. November 2022 […]