Thematische Zusammenfassungen schreiben

Thematische Zusammenfassungen sind zentral beim Notieren von gelesenen Inhalten. Sie sollen kurz sein, nur das Wichtigste enthalten und vor allem mit eigenen Worten selbst geschrieben bzw. erstellt werden. – Der Beitrag diskutiert Vor- und Nachteile und gibt einige Tipps bei der Erstellung von Zusammenfassungen.

Vorbemerkung

Das ist der dritte von vier Artikeln, die sich mit dem Thema Hervorheben und Zusammenfassen beschäftigen:

Ich stütze mich dabei wieder auf das Buch von Fiona McPherson "Effective Notetaking" .

Zu jedem der vier allgemein gehaltenen Beiträge plane ich ergänzend einen begleitenden "How-to" orientierten Post. Darin zeige ich exemplarisch wie die angesprochenen theoretischen Richtlinien im Rahmen einer digitalen Lesekompetenz (Digital Reading) umgesetzt werden können.

Thematische Zusammenfassungen: Das Bild zeigt das Wort "Summary" in Großbuchstaben auf einen braunen Hintergrund.
Bild von Ann H via Pexels.com (CC BY-SA 4.0)

Thematische Zusammenfassungen: drei Differenzierungen

Thematische Zusammenfassungen sind – wie auch Strukturierungen mit Überschriften – organisationale Signale. Es gelten daher ähnliche Grundsätze, wie ich sie bereits in Texte strukturieren dargestellt habe. Beide Textsorten (Überschriften und Zusammenfassungen)

  • geben Hinweise auf die inhaltliche Organisation des Textes
  • sind vor allem dann besonders hilfreich, wenn der Text schlecht organisiert ist
  • helfen den Text besser zu verstehen

Für die Nutzung von Zusammenfassungen ist es förderlich, wenn unterschiedliche Formen klar unterschieden werden:

  1. Eigene versus fremde thematische Zusammenfassungen
  2. Thematische Zusammenfassungen am Ende des Textes versus zu Beginn des Textes (= Überblick, Advanced Organizer)
  3. Schriftliche thematische Zusammenfassungen versus grafische Zusammenfassungen (siehe meinen nächsten Artikel Grafische Zusammenfassungen erstellen)

Fremde versus eigene thematische Zusammenfassungen

Thematische Zusammenfassungen, die bereits im Text angeboten werden, sind dem Verständnis weniger dienlich als Zusammenfassungen, die selbst geschrieben werden. Fremde thematische Zusammenfassungen sind jedoch sehr nützlich als Wegweiser. Sie schildern aus, was im Text besonders wichtig ist.

Thematische Zusammenfassungen am Ende versus zu Beginn des Textes

Thematische Zusammenfassungen, die sich am Beginn eines Textes befinden, werden häufig auch als Überblick bezeichnet. Besonders bei wissenschaftlichen Artikel stehen Zusammenfassungen am Beginn des Textes. Sie sollen helfen zu entscheiden, ob der Beitrag relevant für die eigenen Forschungsinteressen ist.

Thematische Zusammenfassungen versus Advance Organizers

Der Unterschied zwischen einer thematischen Zusammenfassung, die als Überblick zu Beginn eines Textes steht und einem Advance Organizer besteht darin, dass der Überblick nicht über den nachfolgenden Textinhalt hinausgeht.

Advance Organizers hingegen verknüpfen den nachfolgenden Text mit bisherigem Wissen (z.B. mit allgemein bekanntem Wissen, oder vorderen Kapiteln des Buch). Sie sind daher auf einer höheren Abstraktionsebene angesiedelt: Statt bloß den vorliegenden Text zusammenfassend zu wiederholen, verknüpfen sie diesen Text mit anderen Inhalten. Advance Organizers vernetzten daher verschiedene Themen und betten neue Inhalte in bereits bestehendem Wissen ein. Sie fördern damit Wissenstransfer und inhaltliche Vernetzung. Advance Organizers sind daher mehr als ein organisationales Textsignal, sie sind auch – und oftmals vor allem – ein didaktisches Werkzeug.

Schriftliche thematische Zusammenfassungen versus grafische Zusammenfassungen

Darauf gehe ich in einem eigenem Blogbeitrag noch ausführlich ein.

Vorteile thematischer Zusammenfassungen

Besser verständlich

Damit thematische Zusammenfassungen ihre volle Wirkung entfalten können, sollten sie unbedingt vor dem Text gelesen werden. Sie helfen damit nicht nur den Text schneller zu lesen , sondern auch leichter zu verstehen .

Stehen thematische Zusammenfassungen nicht als Überblick am Beginn, dann muss vor dem Lesen des Textes nach der Zusammenfassung gesucht und damit das Lesen des Artikels (oder Buches) begonnen werden.

Ganz generell: Der erste Schritt beim Lesen eines neuen Textes ist also nicht gleich mit dem Lesen zu beginnen, sondern sich zuerst über die verschiedenen Paratext-Elemente einen Überblick zu verschaffen.

Vorwissen aktivieren

Ein weiterer wichtiger Zweck beim Lesen von Paratexten ist es, einen Priming-Effekt zu erreichen. Es geht dabei vor allem darum, dass Vorwissen aktiviert wird, damit der nachfolgende Textes leichter integriert und verarbeitet werden kann. Auch thematische Zusammenfassungen sind zum Aktivieren des Vorwissens gut geeignet, weil sie Leser:innen auf den zu erwartenden Kontext inhaltlich vorbereiten. Besonders effektiv sind thematische Zusammenfassungen dann, wenn sie kritisch reflektiert werden und aktivierend einige Fragen an den (noch nicht gelesenen) Text gestellt werden:

  • Was erwarten Sie von diesem Text?
  • Was ist Ihr Ziel beim Lesen des Textes?
  • Was hoffen Sie neu zu erfahren, zu lernen?
  • Welche spezifische Fragen wollen Sie beantwortet haben?

Nachteile vorgegebener Zusammenfassung

Bereits von Autor:innen vorgegebene Zusammenfassungen haben gegenüber selbst geschriebenen Inhaltsüberblicken zwei wesentliche Nachteile:

  1. Das Ziel von Zusammenfassungen von Autor:innen ist häufig nicht identisch mit dem Zweck der Leser:innen. Vorgegebene thematische Zusammenfassungen fokussieren daher nicht auf diejenigen Fragestellungen, die für die jeweiligen Leser:innen gerade relevant sind.
  2. Der Lernerfolg und die Behaltensrate ist weit größer, wenn die Zusammenfassung nicht nur selbst geschrieben, sondern mit eigenen Worten erstellt wird . (Übrigens: Dieses wichtige Buch ist auch in einer deutschen Fassung inzwischen erhältlich .)

Thematische Zusammenfassungen schreiben: Einige Tipps

  • Die besten Zusammenfassungen entstehen, wenn Sie nicht ständig auf den ursprünglichen Text schauen. Es ist dann nämlich viel leichter eigene Worte zu verwenden.
  • Zusammenfassungen schreiben hat besonders hohe Lerneffekte, wenn sie nicht sofort nach dem Lesen geschrieben werden, sondern erst nach einer gewissen Zeitspanne (z.B. am nächsten Tag) geschrieben werden.

… delaying subsequent retrieval practice is more potent for reinforcing retention than immediate practice

(Location 640)
  • Sehen Sie Ihre (eigenständig generierten) Notizen durch und entwickeln Sie daraus durch Reduktion einen ersten Entwurf Ihrer Zusammenfassung. Reduzieren Sie indem Sie
    • belanglose Inhalte aus der Zusammenfassung löschen
    • redundantes Material löschen
    • Sie Listen, Aufzählungen etc. mit übergeordnete Begrifflichkeiten ersetzen
    • Sie aus einer Passage den zentralen Aussagesatz auswählen. Gibt es diesen inhaltlich zentralen Satz nicht, dann schreiben sie einen.
  • Die schwierigste Aufgabe ist es, einen zentralen Aussagesatz zu formulieren. Fragen Sie sich, was die Grundidee eines Absatzes bzw. eines ganzen Abschnittes ist.
  • Hilfreich kann es auch sein, wenn Sie sich Gesprächspartner:innen vorstellen: Versuchen Sie den Inhalt jemanden kurz und bündig zu erklären.

Arbeitsschritte für gute thematische Zusammenfassungen

Eine "gute" Zusammenfassung ist kurz, enthält nur und ausschließlich das Wichtigste und wird mit eigenen Worten formuliert. Dabei ist folgender Arbeitsablauf zu empfehlen:

  1. Vorausschau: Studieren Sie die Paratext-Elemente: Lesen Sie besonders intensiv Zusammenfassung und/oder Advance Organizer. Gibt es weder Übersichten noch Zusammenfassungen, dann schauen Sie sich besonders intensiv die Überschriften bzw. das Inhaltsverzeichnis an. Ist auch dieser Schritt nicht sehr hilfreich, dann überfliegen Sie den Text indem Sie nach Signalwörtern bzw. - Passagen suchen, wie in Texte strukturieren genauer ausgeführt.
  2. Priming: Formulieren Sie die Hauptidee des Buches, des Abschnitts, des Artikels. Stellen Sie dann Ihre Fragen an den Text, wie oben unter "Vorwissen aktivieren" angegeben.
  3. Lesen: Beginnen Sie erst dann den eigentlich Text gründlich zu lesen und sich Notizen zu machen.
  4. Hauptidee herausfinden: Identifizieren Sie die Hauptidee und formulieren Sie sie in eigenen Worten.
  5. Weitere wichtige Gedanken ermitteln: Welche Argumente unterstützen die Hauptidee oder widersprechen ihr? Benennen Sie die einzelnen Punkte, d.h. versehen Sie sie mit einer kurzen charakteristischen Kennzeichnung.
  6. Überprüfen: Begutachten und bewerten Sie das bisherige Ergebnis, indem Sie folgende Fragen stellen:
    • Ist die Grundidee klar und deutlich formuliert?
    • Sind alle Fragen, die Sie an den Text unter "Priming" gestellt haben, beantwortet?
    • Sind auch sonst alle wichtigen Informationen enthalten?
    • Gibt es noch irrelevante und redundante Aussagen, die Sie aus Ihrer Zusammenfassung löschen können?
    • Haben Sie sich nicht zu sehr an den Text angelehnt, sondern Ihre eigenen Worte verwendet?

Zusammenfassung

Auf einer höheren Ebene lässt sich der empfohlene Workflow in drei Schritten zusammenfassen:

  • Sich einen Überblick verschaffen: Vorausschau und Priming.
  • Den Text mit den aktivierenden Fragen im Hinterkopf lesen.
  • Den Text zerlegen und die wesentlichen Elemente herausfinden.

Verwendete Literatur

Brown, P. C., Roediger, H. L., & McDaniel, M. A. (2014). Make it Stick: The Science of Successful Learning. Harvard University Press.
Brown, P. C., III, P. D. H. R., & McDaniel, P. D. M. A. (2019). Das merk ich mir!: Erfolgreich lernen und für immer behalten mit der Make-it-stick-Methode - Für Schule, Studium und Beruf (I. Brodersen, Trans.; Deutsche Erstausgabe). Goldmann Verlag.
Cook, N. M. (1981). Summaries: Further issues and data. Educational Review, 33(3), 215–222.
Lorch Jr, R. F., Lorch, E. P., & Matthews, P. D. (1985). On-line processing of the topic structure of a text. Journal of Memory and Language, 24(3), 350–362.
McPherson, F. (2018). Effective Notetaking (3rd. revised edition). Wayz Press.

Von Peter Baumgartner

Seit mehr als 30 Jahren treiben mich die Themen eLearning/Blended Learning und (Hochschul)-Didaktik um. Als Universitätsprofessor hat sich dieses Interesse in 13 Bücher, knapp über 200 Artikel und 20 betreuten Dissertationen niedergeschlagen. Jetzt in der Pension beschäftige ich mich zunehmend auch mit Open Science und Data Science Education.

4 Antworten auf „Thematische Zusammenfassungen schreiben“

[…] Peter Baumgartner schreibt: „Eine „gute“ Zusammenfassung ist kurz, enthält nur und ausschließlich das Wichtigste und wird mit eigenen Worten formuliert.“ Seine Artikel enthält weitere Tipps, ja sogar eine schrittweise Arbeitsanweisung für das Verfassen guter Zusammenfassungen. Warum allerdings auch den Leser:innen vorgegebene Zusammenfassungen in diesem Kontext diskutiert werden, erschließt sich mir nicht ganz. Wie auch immer: Der Artikel ist ein weiterer Beitrag im Rahmen des Buchprojekts „Academic Writing“. Peter Baumgartner, Gedankensplitter, 5. Dezember 2022 […]

Jochen Robes schreibt in einem Kommentar vom 6. Dezember: „Warum allerdings auch den Leser:innen vorgegebene Zusammenfassungen in diesem Kontext diskutiert werden, erschließt sich mir nicht ganz.“ Ich bin über diesen Hinweis sehr dankbar, weil er eine Unklarheit in meinem Blogpost offen legt.

Tatsächlich heißt mein Beitrag ja „Thematische Zusammenfassungen schreiben„. Warum also schreibe ich auch über vorgegebene Zusammenfassungen?

Mein Beitrag will auf die große Bedeutung auch von vorgegebenen Zusammenfassungen hinweisen. Sie sollten besondere Beachtung finden und immer sehr konzentriert vor dem „normalen“ Lesen des Textes verarbeitet werden. Sie sind so etwas wie Wegweiser durch den Text. Das wird aber in meinem Posting nicht klar herausgearbeitet, weil ich mich recht schnell dem Schreiben von Zusammenfassungen widme.

Obwohl vorgegebene Zusammenfassungen sehr wichtig Hinweisschilder sind, können sie eigene Zusammenfassungen niemals ersetzen. Warum? Abgesehen vom wichtigen kognitiven Aufwand, der die Merkfähigkeit erhöht, ist der Weg den jeweilige Leser:innen durch den Text sich erarbeiten, nicht völlig deckungsgleich mit den der Autor:innen. Unterschiedliche Zielstellungen, unterschiedliche Interessen bedeuten, dass unterschiedliche Textpassagen von Bedeutung sind bzw. dieselben Textpassagen in einem anderen Gesamtzusammenhang zu interpretieren sind. Eine Konsequenz aus dieser Unterschiedlichkeit ist es, dass es – unabhängig davon, dass es vorgegebene Zusammenfassungen gibt – es durchaus sinnvoll ist trotzdem eine eigene Zusammenfassung mit eigenen Worten und eigenen Schwerpunkten (Hinweisschildern) zu schreiben. – Eine Konsequenz, die ich in dieser Deutlichkeit bisher in keiner mir zugänglichen Literatur gefunden habe.

Danke für die aufmunternde Nachricht und den Link. Leider bin ich mit dem Buch seitenmäßig bisher nicht so weit fortgeschritten, dass ich es zur Diskussion stellen kann. Ich möchte die Werkzeuge des wissenschaftlichen Arbeitens nicht abstrakt als „Toolbox“ vorstellen, sondern im Zusammenhang mit aktuellen und empirischen Forschungsstrategien. Werkzeuge für Open Science (Open Data, Open Educational Resources etc.) müssen in einen modernen wissenschaftlichen Arbeitsablauf („Workflow“) integriert werden. Deshalb ist es zu wenig, wenn ich nur das Werkzeug selbst beschreibe und nicht den (geänderten) Forschungsprozess.

Gerade bei der empirischen Forschung hat sich hier seit meinem „Studieren und Forschen mit dem Internet“ extrem viel getan. Ich habe mich daher entschlossen, in diesen Thematik für das geplante Buch einzutuachen. Konkret beschäftige ich mich derzeit mit Bayes-Statistik (als Kritik zum Frequentismus). Siehe z.B. als kurze Einführung: Warum Bayes anstelle von Frequentismus?. Ich erarbeite mir gerade dazu die notwendigen Kenntnisse mit Statistical Rethinking. Das ist aber (zumindest für mich) kein Spaziergang und benötigt viel Zeit. Außerdem ist die dazugehörige Community überwiegend englischsprachig, sodass ich dazu in (m)einem englischen Blog schreiben sollte (das aber selbst wieder eine Neuauflage d.h. einen Systemwechsel von blogdown und Hugo zum neuen Quarto benötigt). – Also Baustelle über Baustelle…

Aber Ihre Rückmeldung lässt mich darüber nachdenken, ob es nicht doch auch sinnvoll wäre (zumindest gelegentlich und über Blogposts) einzelne Werkzeuge im Sinne einer Toolbox vorzustellen. Dazu eine ganz konkrete Frage: Haben Sie schon mit Zotero plugins „Zotero Better Notes“ und „Better BibTex for Zotero“ im Zusammenhang mit dem Zitieren von Zotero PDFs und dem diesbezüglichen Export in andere Quellen (u.a. auch nach Obsidian) experimentiert? Egal, ob die Antwort ja oder nein ist: Wären auch Ihrer Sicht solche (Zwischen)Posts sinnvoll?

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