Texte markieren

Texte markieren ist die bei weitem am Häufigsten angewendete Studientechnik. Der Behaltenseffekt und vor allem der Lernerfolg ist – für sich allein genommen – gering und von verschiedenen Faktoren abhängig.

Weil die Vorteile von Hervorhebungen jedoch mit anderen Techniken kombiniert sehr wohl zum Tragen kommen, ist es wichtig zu wissen, welche Fehler es zu vermeiden gilt.

Vorbemerkung

Das ist der erste von vier Artikeln, die sich mit dem Thema Hervorheben und Zusammenfassen beschäftigen:

Ich stütze mich dabei vor allem auf das Buch von Fiona McPherson "Effective Notetaking" .

Zu jedem der vier allgemein gehaltenen Beiträge plane ich ergänzend einen begleitenden "How-to" orientierten Post. Darin zeige ich exemplarisch wie die angesprochenen theoretischen Richtlinien im Rahmen einer digitalen Lesekompetenz (siehe: Digital Reading – 5 Kompetenzen zum Lesen digitalisierter Quellen) umgesetzt werden können.

Texte markieren = Informationen hervorheben

Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden ist eine zentrale Lesefertigkeit. Unterstreichen beispielsweise ist eine Strategie um bestimmte Textpassagen hervorzuheben. Das kann bei Printmaterial mittels farbigen Textmarker oder bei eBooks durch Selektieren der Textstelle z.b. mit einem Finger erfolgen.

Texte markieren (Papier)

Texte markieren: Mit einem farbigen Marker markiert eine Person eine Textpassage.

Distinguishing the important from the unimportant information is arguably the most critical skill in successful studying.

(Location 234)

Texte markieren (eBook Reader)

Texte markieren mit Kindle Paperwhite von Nicholas Dunn

Texte markieren – Ambivalente und überschätze Studientechnik

Es ist ein großer Irrtum zu glauben, dass sich mit dem Markieren von Texten automatisch die Merkfähigkeit des (gesamten) gelesenen Textes erhöht. Der wichtigste kognitive Aspekt beim Markieren von Texte besteht darin, dass die Aufmerksamkeit auf den hervorgehobenen Text gelegt wird. Außerdem verringert sich die Lesegeschwindigkeit, was unter Umständen ebenfalls einen positiven Effekt hat.

Texte markieren erhöht nur geringfügig die Behaltensrate der hervorgehobenen Passagen – und dies auch noch auf Kosten derjenigen Textpassagen, die nicht markiert wurden . Und zum Verständnis des Gelesenen trägt mechanisches Markieren von Texte gar nichts bei.

Es ist daher nicht nur wichtig, dass die "richtigen" Passagen markiert werden, sondern vor allem was mit dem Markierungen im Zuge des weiteren Verarbeitungsprozesses passiert. Werden Markierungen bloß gesammelt (gespeichert), dann ist der Lernerfolg zu vernachlässigen, und die Mühe war größtenteils umsonst. Aber selbst wenn die eigenen Notizen wieder – oder sogar mehrmals – gelesen werden, ist der Lernerfolg gering und vor allem nur kurzzeitig.

People commonly believe that if you expose yourself to something enough times – say, a textbook passage ...– you can burn it into memory. Not so. …
Rereading has three strikes against it. It is time consuming. It doesn’t result in durable memory. And it often involves a kind of unwitting self-deception, as growing familiarity with the text comes to feel like mastery of the content.

(Location 183)

Texte markieren: Nicht immer hilfreich

Es gibt vier Umstände, wo das Markieren von Texten nicht hilfreich ist.

1. Markierter Text enthält Bekanntes

Das Hervorhebung bereits bekannter Ideen ist – selbst wenn es sich dabei um wichtige Gedanken beinhalten - kontraproduktiv. Einerseits ist die Markierung sinnlos, weil der Inhalt ja bereits bekannt ist. Andererseits konkurrenzieren gewusste Inhalte markierter Passagen mit Hervorhebungen von Textstellen, die Unbekanntes beinhalten.

2. Text ist sehr kurz

Bei sehr kurzen Textpassagen (1-2 Absätze) ist das Markieren von Texten nicht besonders hilfreich. Das gilt insbesondere dann, wenn es sogar eine Hervorhebung durch den Titel bereits gibt. Der verbleibende Text ist sowieso schon durch sein Kürze entsprechend kondensiert.

3. Text ist sehr anspruchsvoll

Wenn der Text zu "dicht" ist, d.h. zu viele neue Gedanken enthält, dann ist die extensive Wirkung von Markierungen problematisch. So hat die deutsche Ärztin und Psychologin Hedwig von Restorff hat bereits 1933 nachgewiesen, dass aus einer Vielzahl von Reizen jener, der sich am meisten von seiner Umgebung unterscheidet, am Besten erinnert wird . Der nach ihr benannte Restorff-Effekt basiert auf den Prinzip der guten Gestalt, einem Gesetz der Gestaltpsychologie.

Werden also zu viele Textpassagen markiert, dann dreht sich sogar der Fokus in der Aufmerksamkeit um: Nun gilt, dass Text, der nicht markiert wurde, die herausgehobene Ausnahme darstellt und eher erinnert wird! Zu viele Textpassagen zu markieren ist daher kontraproduktiv. Generell gilt als Richtwert, dass nicht mehr als 10% des Textes markiert werden soll.

Textpassage mit vielen gelben Markierungen
Beispiel einer Textpassage, deren umfangreiche und zu häufigen Markierungen kontraproduktiv wirken. (Location 272)

Ich will damit nicht andeuten, dass sehr/zu anspruchsvolle Texte nicht gelesen werden sollen. Ob ein Text als sehr anspruchsvoll empfunden wird, hängt natürlich vom vorhandenem Hintergrundwissen ab. Dieses Hintergrundwissen lässt sich aber nicht bloß mit dem extensiven Markieren von Texten aneignen.

Trotzdem sollten anspruchsvolle Texte markiert werden. Aber sehr sparsam, d.h. maximal jeder zehnte Satz. Zusätzlich müssen verstärkt noch andere Methoden der Inhaltserfassung eingesetzt werden, auf die ich in späteren Beiträgen noch zu sprechen komme.

4. Komplexes Markierungssystem

Texte Markieren sollte kognitiv möglichst wenig anspruchsvoll sein. So würde die Einrichtung eines komplizierten Markierungssystems kontraproduktiv wirken. So wäre z.B. folgendes Farbenschema vorstellbar:

  • gelb: Definitionen und Schlüsselbegriffe
  • blau: Hinweise auf Literatur, Links und andere Ressourcen
  • grün: wichtige Aussage
  • rot: Beispiele
  • grau: Daten, Zeitleiste

Diese komplexe System erhöht die kognitive Last beim Markieren. Die Umsetzung erfordert viel Aufmerksamkeit, die dem Prozess der Texterfassung dann abträglich ist.

Dieselbe Textpassage, diesmal farblich systematisch markiert. Es bleiben weiterhin zu viele Markierungen, ganz abgesehen, dass der zentrale Aspekt des Markieren von Texten (Fokussieren auf die zu markierenden Textpassagen) durch das komplexe Markierungssystem behindert wird. (Location 278)

Zusammenfassung

Markieren von Textstellen ist für sich genommen in drei Situationen besonders effektiv:

  • Als ein Hilfsmittel sich zu konzentrieren
  • Wenn genügend Zeit vorhanden ist
  • Wenn der Text nicht zu dicht ist

Das Markieren von Textpassagen ist die am häufigsten angewendete Studientechnik. Sie wird jedoch in ihren Vorteilen bei weitem überschätzt. Der Erinnerungseffekt von markierten Stellen ist nicht nur gering, sondern auch von kurzer Dauer. Außerdem gibt es eine Reihe von Bedingungen, wo Texte Markieren sogar kontraproduktiv wirken kann.

Zur Erinnerung: Highlighting acts to direct attention. It does not improve recall as such. (Location 371)

Trotzdem ist Markieren sowohl als Lernstrategie als auch als Methode wissenschaftlichen Arbeitens wichtig und nicht zu vernachlässigen. Die Vorteile des Markieren von Textpassagen kommt vor allem im Zusammenwirken mit anderen Methoden zum Tragen. Das wird noch im Zuge meiner Artikelserie deutlich werden.

The word "Quiz!" written with chalk on a blackboard.
Afbeelding van Mary Pahlke via Pixabay

Als Ergänzung zu diesem Kapitel gibt es auch einen englisch-sprachigen H5P-Quiz, den ich aus dem hier bereits mehrmals zitierten Buch von Fiona McPherson Effective Notetaking entnommen habe.


Verwendete Literatur

Brown, P. C., Roediger, H. L., & McDaniel, M. A. (2014). Make it Stick: The Science of Successful Learning. Harvard University Press.
Cashen, V. M., & Leicht, K. L. (1970). Role of the isolation effect in a formal educational setting. Journal of Educational Psychology, 61, 484–486. https://doi.org/10.1037/h0030286
Crouse, J. H., & Idstein, P. (1972). Effects of encoding cues on prose learning. Journal of Educational Psychology, 63(4), 309.
McPherson, F. (2018). Effective Notetaking (3rd. revised edition). Wayz Press.
von Restorff, H. (1933). Über die Wirkung von Bereichsbildungen im Spurenfeld. Psychologische Forschung, 18(1), 299–342. https://doi.org/10.1007/BF02409636

Von Peter Baumgartner

Seit mehr als 30 Jahren treiben mich die Themen eLearning/Blended Learning und (Hochschul)-Didaktik um. Als Universitätsprofessor hat sich dieses Interesse in 13 Bücher, knapp über 200 Artikel und 20 betreuten Dissertationen niedergeschlagen. Jetzt in der Pension beschäftige ich mich zunehmend auch mit Open Science und Data Science Education.

Eine Antwort auf „Texte markieren“

[…] Noch einmal Peter Baumgartner und sein Buchprojekt „Academic Writing“. Zum Stichwort „Texte markieren“ hält er fest: „Es ist ein großer Irrtum zu glauben, dass sich mit dem Markieren von Texten automatisch die Merkfähigkeit des (gesamten) gelesenen Textes erhöht.“ Eine eher überschätzte Arbeits- und Lernstrategie, meint deshalb Peter Baumgartner, die nur in Verbindung mit anderen Methoden sinnvoll und wirksam ist. Peter Baumgartner, Gedankensplitter, 26. November 2022 […]

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