Reflexives Praktikum, Emergenz, Supervenienz und andere Wortungeheuer

In einem ausführlichen Kommentar geht Frank Vohle auf meine philosophischen Überlegungen zum Verhältnis von Muster und Emergenz ein. Ich war sehr froh darüber: Nicht deshalb, weil – wie Gabi meint – die tollen Kommentare immer bei mir landen <smile>, sondern weil es mich erleichtert hat, dass ich nicht alleine mit solchen abstrakten Überlegungen dastehe.

Der nachfolgende Beitrag ist (leider) noch nicht sehr gut ausgearbeitet.
Außerdem fürchte ich aus, dass es für philosophisch ausgebildete
Expert/-innen einigermaßen grob und naiv wirken mag. Wenn ich trotzdem
versuche auf einige komplizierte philosophische Fragestellungen
einzugehen, dann mag vielleicht das Diktum von Ludwig Wittgenstein als
Rechtfertigung herhalten:

Ich glaube, einen Philosophen, einen der selbst denken kann, könnte
es interessieren, meine Noten zu lesen. Denn wenn ich auch selten ins
Schwarze getroffen habe, so würde er doch erkennen, nach welchen
Zielen ich unablässig geschossen habe. (In: Über Gewissheit, §387)


Oder: Was können wir aus philosophischen Diskussionen lernen?

In einem ausführlichen Kommentar geht Frank Vohle auf meine philosophischen Überlegungen zum Verhältnis von Muster und Emergenz ein. Ich war sehr froh darüber: Nicht deshalb, weil - wie Gabi meint – die tollen Kommentare immer bei mir landen <smile>, sondern weil es mich erleichtert hat, dass ich nicht alleine mit solchen abstrakten Überlegungen dastehe.

Der nachfolgende Beitrag ist (leider) noch nicht sehr gut ausgearbeitet. Außerdem fürchte ich aus, dass es für philosophisch ausgebildete Expert/-innen einigermaßen grob und naiv wirken mag. Wenn ich trotzdem versuche auf einige komplizierte philosophische Fragestellungen einzugehen, dann mag vielleicht das Diktum von Ludwig Wittgenstein als Rechtfertigung herhalten:

Ich glaube, einen Philosophen, einen der selbst denken kann, könnte es interessieren, meine Noten zu lesen. Denn wenn ich auch selten ins Schwarze getroffen habe, so würde er doch erkennen, nach welchen Zielen ich unablässig geschossen habe. (In: Über Gewissheit, §387)

Reflexives Praktikum

Zuerst einmal muss ich gestehen, dass ich im Hintergrund eine "geheimen Plan", eine Art "hidden Agenda" verfolge. Ausgehend von den Arbeiten von Donald Schön, habe ich in meiner Habilitationsschrift dargelegt, dass die Entwicklung eines Curriculums für Expert/-innen spezifische Eigenheiten aufweist. Es sind einige Aspekte dieser Eigenheiten, die für mich aus pädagogisch-didaktischer Sicht den Pattern-Ansatz so attraktiv machen:

Donald Schön weist nämlich nach, dass der Lehrprozess für Expert/innen und Praktiker/-innen auf eine durch deren Erfahrung gewonnenen Perspektive aufbauen muss. Das wiederum führt zu einer spezifischen Struktur der "Lehrveranstaltung", die Schön das "reflexive Praktikum" nennt.  (vgl. S. 300 und 302 meiner Habilschrift).

Bei einem reflexivem Praktikum steht im Mittelpunkt weder eine Übermittlung von Inhalten (z.B. Vortrag) oder Einübung von Fertigkeiten (z.B. Übung) noch eine selbständige Auseinandersetzung und Produktion eigener Inhalte (z.B. Seminar). Vielmehr ist das reflexive Praktikum durch einen interaktiven Wechsel (Oszillation) zwischen reflexiven Konversation und Design bzw. Gestaltung geprägt. 6 Aspekte sind für ein reflexives Praktikum konstituierend:

  1. Es gibt keinen Vortrag oder Erklärungen. Vielmehr wird versucht gemeinsam das Problem zu (re)formulieren. Es geht darum alte Sichtweisen über Bord zu werden und bekannte Schwierigkeiten unter einem neuen Blickwinkel erscheinen lassen. Das sollte mit einer spielerischen Leichtigkeit – geleitet von bisherigen Erfahrungen – geschehen. Personen, die solche Praktikas leiten, sind nicht mehr Lehrer/-innen im traditionellen Sinne, sondern nehmen eher Funktionen von „Coaches“ oder Spielertrainer/-innen wahr, die mit den Studierenden ein Spiel erproben. Das primäre Vehikel in dieser Phase ist die Sprache.
  2. Mit der gemeinsam vollzogenen Reformulierung werden nun aber neue Ansatzpunkte einer möglichen Veränderung der Situation, neue Angriffspunkte beziehungsweise neue Gesichtspunkte zur Aufmerksamkeit gebracht. Diese Momente sind aber nicht mehr nur unbedingt sprachlich erfassbar, sondern es werden Skizzen, Tonmelodien, Personenaufstellungen, Theaterstücke, Schachnotationen etc. zur Verdeutlichung verwendet. Es wird damit eine (neue) ganzheitliche Perspektive (er)öffnet, das (alte) Problem erscheint in einem ganz anderen Licht. Das primäre Vehikel in dieser Phase ist eine eigene Notation, die die sprachliche Limitationen (Sequentialität: Ein Wort nach dem anderen, ein Satz nach dem anderen, ein Gedanke nach dem anderen) überwinden soll und eine ganzheitliche Präsentation (Bild, Performance etc.) liefern soll.
  3. Die "Spielertrainer/-innen" laden die  die Teilnehmer/-innen des reflexiven Praktikums ein, sich in diese neue Situation hinein zu begeben, sie auch emotionell anzunehmen und sich mit ihr vertraut zu machen. Es sind Annäherungen, die den persönlichen (mentalen und/oder körperlichen) Einstieg in die neu geschaffene Konfiguration, das Muster ermöglichen sollen. Das schließt auch das Aufnehmen einer gewissen emotionalen Beziehung zur Situation ein. Es wird nun von der Außenperspektive (objective stance) zur Innenperspektive gewechselt. Der wissenschaftlich neutrale, objektive Standpunkt der 3. Person wird mit dem Standpunkt der 1. Person vertauscht. Wie "fühlt" sich die Situation an? Wie empfinde/n ich/wir die Situation?
  4. Im nächsten Schritt wird ein „lokales Experiment“ durchgeführt. Die Teilnehmer/-innen des reflexiven Praktikums versuchen zu „entdecken“, welche Eigenschaften die neue Situation hat, wie sie auf ein Verändern gewisser Parameter reagiert. Das spielerisch entdeckte Muster wird nun systematisch variiiert und es werden die Veränderungen sowohl in der 3. als auch 1. Person beobachtet. Es findet ein ständiges oszillieren zwischen objektiv/subjektiv zwischen Beoachtung (3. Person) und Hineinbegeben (1. Person) in die Situation statt.
  5. Dieses Experimentieren führt zu neuen Gesichtspunkten, es werden neue Möglichkeiten und Konsequenzen entdeckt. Dabei wird aber nicht nach "trial and error", Erfolg/Misserfolg vorgegangen, sondern die Teilnehmer/-innen versuchen, die Situation so zu modellieren, dass sie ihrer Vorstellung gefühlsmässig entspricht, dass eine Konfiguration bzw. Muster entsteht, dass Situation angenommen werden kann. … the practitioner’s move also produces unintended changes which give the situation new meanings. The situation talks back, the practitioner listens, and as he appreciates what he hears, he reframes the situation once again. (Schön 1983, 131f.)
  6. Durch diesen spiralförmigen Prozess der reflexiven Konversation mit der (neuen) Situation gewinnt das Problem einen anderen Charakter, wird vertraut und in seiner Einzigartigkeit verstanden. Schön bezeichnet diesen Prozess als „reflection-in-action“ (reflektierendes Handeln).

Donald Schön und Christopher Alexander

Bei der Beschreibung des verschiedenen Aspekte des reflexiven Praktikums verwendet Donald Schön immer wieder den Designbegriff, den ich mit Gestaltung übersetze. Heute würde ich bei einer Neufassung meiner Habilitationsschrift für die Gestaltung komplexer Situation jedoch nicht nur den Design-Begriff erweitern (S.271ff.), sondern auch "Entwurfsmuster" dazu sagen.So ist es ja aus meiner Sicht auch kein Wunder, wenn Donald Schön als eines seiner wichtigsten Fallbeispiele gerade die Ausbildung von Studierenden der Architektur heranzieht. Diese thematische Übereinstimmung mit den Pattern-Ansatz des Architekten Christopher Alexander ist - wie ich glaube - kein Zufall!

Es ist ein nachträgliches Aha-Erlebnis für mich gewesen, die Arbeiten von Donald Schön nochmals unter dem Licht des Pattern-Ansatzes von Christopher Alexander Revue passieren zu lassen. Um dieses Erlebnis nachempfinden zu können, empfehle ich die beiden wichtigsten Bücher der beiden Autoren (Schön: Educating the Reflective Practitioner: Toward a New Design for Teaching and Learning und Alexander: The Timeless Way of Building parallel bzw. unmittelbar hintereinander zu lesen!

Einige relevante Fachbegriffe

Aus dem bisher Gesagten ist es wohl nun einsichtig, warum ich an den Pattern-Ansatz von Alexander so interessiert bin. Unklar ist aber weiterhin, warum ich die ganze Batterie von philosophischen Fachbegriffen und der Vergleich mit den (Natur-)Wissenschaften für die Gestaltung didaktischer Situationen (= didaktisches Szenario) notwendig ist.

1. Oszillation und Entwurfsmuster

Ich habe nicht zufällig den Begriff Oszillation (Schwingung, Pendelbewegung) gewählt. Mir geht es dabei nicht nur um die Pendelbewegung zwischen zwei Polen, sondern um das oszillieren zwischen zwei Ebenen, zwischen einer Mikro- und einer Makroebene. (Richtig: Hier kommt wieder unser Wunderwuzzi der Emergenz ins Spiel!) Eine andere Sichtweise davon ist das Oszillieren zwischen scheinbar paradoxen Gegensätzen (Paradoxien). Vgl. dazu auch das interessante Buch Oszillodox: Virtualisierung – die permanente Neuerfindung der Organisation.

Beim Erläutern des reflexiven Praktikum haben wir ein ständige zweifache Oszillation erfahren: Sprache/Sequenz versus Notation/Präsentation und Außensicht/Beobachtung/3. Person versus Innensicht/Einfühlung (Indwelling bei Polanyi/1. Person.

Ich glaube - und das ist eine meiner wesentlichen Thesen, warum ich den Musterbegriff so interessant finde – dass dieses Oszillieren zwischen den verschiedenen Ebenen für den Erkenntnisprozess wesentlich ist. Aus meiner Sicht ist es daher zuwenig, einfach Entwurfsmuster - sozusagen Patentrezepte – zu generieren. Diese Muster sind nicht statisch (als Lösungsmuster) zu begreifen, sondern sind Entwurfsmuster, die für das Generieren neuer Situationen bzw. Konfigurationen dienen. Wenn ich viele der pädagogischen Entwurfsmuster kritisiere, dann vor allem deshalb, weil sie als statische Lösungsmuster und nicht als dynamische Erkenntnismuster zur Gestaltung neuer Situationen verstanden werden.

2. Emergenz und KräfteVektor Addition

In meinem früheren Beitrag Muster als emergentes Phänomen habe ich versucht darauf aufmerksam zu machen, dass zum Patternbegriff auch der Begriff der Emergenz gehört. Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass Emergenz (emergence) ein schillender philosophischer Begriff ist. Ursprünglich als "neu auftauchend" und damit als Gegensatz zu resultierend (engl. resultant) eingeführt, war damit gemeint, dass die Summierung der Eigenschaften und Kräfte der unteren Ebene nicht ausreicht um die Erscheinungen (Eigenschaften und Kräfte) der oben Ebene zu erklären bzw. vorher zu sagen. Pate für diese Vorstellung von Emergenz war aber das Newtonsche Weltbild und als Paradigma galt die Vektoraddition im Kräfteparellologramm.

Diese einfache Vorstellung von Emergenz lässt aber eine ganze Menge von Fragen unbeantwortet, von denen ich nur einige hier erwähnen möchte:

  • Gelten diese mechanistischen Überlegungen noch im Zeitalter der Quantenmechanik?
  • Sind die emergenten Erscheinungen nur dem bisherigen Entwicklungsstand der Wissenschaften verschuldet, weil wir beispielsweise noch nicht die darunter liegenden Gesetze der Mikroebene erkannt haben?
  • Ist Emergenz ein Phänomen, d.h. eine bloße Erscheinung, die nur im Auge des Betrachters entsteht, d.h. aus der Relation Beobachter-Beobachtetes hervorgeht oder hat Emergenz eine ontologische Realität?

Was wird unter Kräften im Muster-Ansatz von Alexander genau verstanden? Welche Art von Kräfte sind für die pädagogischen/didaktischen Entwurfsmuster relevant bzw. adäquat? Mir scheint hier eines der größten Probleme des Musteransatzes zu liegen. Ich vermute sogar, dass dies der Hauptgrund dafür ist, dass Alexander die (bisherige) Übertragbarkeit für objektorientiertes Programmieren und Userface Design ablehnt. – Und warum ich mit den bisherigen Entwurfsmustern im pädagogischen Bereich nicht so glücklich bin.

3. Supervenienz

Supervenience-LevelsNoch so ein Wortungeheuer: Unter Supervenienz (engl. supervenience) werden die Verhältnisse von Entitäten beschrieben. Das hat in der ganzen Diskussion mit Mikro- und Makroebene eine ganz besondere Bedeutung. Es geht beim Konzept der Supervenienz um die Frage, in wie weit Merkmale (Eigenschaften) der (Makro-)Ebene A mit Merkmalen (Eigenschaften) der (Mikro-)Ebene B zusammenhängen. Man sagt: Eine Eigenschaftsfamilie A superveniert genau dann über einer Eigenschaftsfamilie B, wenn es nicht möglich ist, A zu ändern, ohne B zu ändern.

Ein (triviales) Beispiel ist das Pixelmuster in einem Bild. Das Pixelmuster stellt etwas dar, z.B. einen Hund. Das Bild hat also die (globale) Eigenschaft einen Hund darzustellen. Keine zwei Bilder können sich in ihren globalen Eigenschaften unterscheiden, ohne sich irgendwo in der Punktverteilung, bei der Konfiguration der einzelnen Pixel zu unterscheiden. Man sagt: Die darstellenden Eigenschaften des Bildes (= einen Hund darzustellen) supervenieren mit dem physikalischen Eigenschaften des Bildes, dem Pixelmuster. Umgekehrt ist das jedoch nicht der Fall, weil ein Hund auch ohne Pixel, d.h. mit anderen physikalischen Eigenschaften dargestellt werden kann (z.B. indem ein Hund gemalt wird).

Ein nicht so triviales bzw. sogar heftig diskutierte Anwendung von Supervenienz ist die Philosophie des Geistes: Man sagt, dass das Mentale (die Geisteszustände) dem Physikalischem (den neurophysiologischen Zuständen) supervenient sind, d.h. dass jede Änderung der Geisteszustände mit einer Änderung der physikalischen Zustände (einer unterschiedlichen Neuronenfeuerung z.B.) korrespondiert.

Es stellt sich nun die Frage bei der Gestaltung von didaktischen Szenarien, welche der verschiedenen Eigenschaften der Mikroebene (z.B. Anordnung der Tische, Größe der einzelnen Arbeitsgruppe) sind supervenient für – sagen wir – ein reflexives Praktikum (Makroebene). Oder allgemeiner ausgedrückt: Welche konfigurativen Elemente einer didaktischen Situation sind unbedingt erforderlich um den angestrebten Zweck zu erreichen? Was ist Beiwerk und was ist Wesentlich?

4. Abwärts-Verursachung (Downward Causation)

Dr. Nancy MurphyBisher habe ich Emergenz immer nur als ein neu auftauchendes Phänomen der Makroebene behandelt, sozusagen als ein Phänomen, das durch Aufwärts-Verursachung entsteht. Das ist natürlich nur eine der Möglichkeiten wie Emergenz wirken kann und nicht umsonst gibt es eine ganze Liste von Büchern, die sich mit Emergenz und den philosophischen Implikationen daraus beschäftigen.

Wichtig in meinem Zusammenhang ist es, dass es auch eine Abwärts-Verursachung (Downward Causation) geben könnte. Ein typisches Beispiel für Abwärts-Verursachung ist die Evolution: Aus der zufällige Genvariation (= untere Ebene, Aufwärtsverursachung) setzt sich in großen evolutionären Zeiträumen durch Selektion jene Variation durch, die den Umweltbedingungen am besten entspricht. Die in der Evolution vorgenommene Selektion "wählt" also aus den zufälligen Genvariationen aus, wirkt also von der oberen Ebene auf die untere Ebene zurück (= Abwärts Verursachung). - Für mich war der Videoausschnitt eines Vortrags von Dr. Nancy Murphy  zum Verständnis von Downward Causation sehr hilfreich. Ein Einblick in die aktuelle philosophische Diskussion findet sich z.B. im Artikel Levels, Emergence, and Three Versions of Downward Causation.

Die Frage nun ist: Gibt es auch eine Abwärts-Verursachung im pädagogisch-didaktischen Bereich? Worin könnte die bestehen? Die Frage nach der (Richtung der) Verursachung ist eine Konkretisierung des Supervenienz-Konzeptes: Bei der Supervenienz geht es um die Zusammenhänge der unteren zur oberen Ebene, wobei jedoch kausale Kräfte vorerst einmal nicht interessieren. Welche Eigenschaften der oberen Ebene hängen untrennbar (sind supervenient) mit Eigenschaften der unteren Ebene? Die Frage nach der Verursachung hingegen richtet sich auf die Kausalität: Welche Eigenschaften der Ebene A oder B sind für welche Eigenschaften der jeweils anderen Ebene ursächlich, verantwortlich?

5. Kohärenz?

Möglicherweise ist auch Kohärenz ein wichtiger Begriff? Ich weiß es nicht, kann dazu bisher wenig sagen. Muss mir dazu die erwähnten Passagen, die Frank erwähnt bei Gabi näher anschauen. Wo finde ich die genau?

ZusammenfassungEbenen der Didaktik-Gestaltung

Ich gebe zu, dass die hier angeführten Begrifflichkeiten noch nicht besonders tragend und für die Pädagogik wegweisend sind. Es fehlt die Adaptierung dieser Begriffe, ihre Nutzbarmachung für die pädagogische Theorie. Unabhängig einmal von den einzelnen angeführten Details glaube ich jedoch zweierlei gezeigt zu haben (Und das ist quasi auch die Antwort auf die Frage von Frank in seinem Kommentar, sozusagen der langer Rede kurzer Sinn <grin>):

  1. Wenn wir davon ausgehen, dass es auch in der Didaktik verschiedene Ebenen der Betrachtung, Analyse und Gestaltung gibt, dann machen Konzepte, die sich mit dem Verhältnis der verschiedenen Ebenen zueinander beschäftigen, durchaus Sinn. Mehr noch: Ich glaube sogar, dass diese Begriffe für die weitere Theorieentwicklung der Bildungswissenschaften entscheidend sind. Und dass didaktisches Handeln verschiedene Ebenen hat, hat aus meiner Sicht Flechsig sehr schön aufgezeigt. Ich verweise dazu auf meine in Vorträgen häufig verwendete Folie der inklusiven didaktischen Hierarchien, die ich als unterschiedliche Gestaltungsebenen von E-Learning Szenarien definiert habe.
  2. In der Beschäftigung mit den Konzepten der Naturwissenschaften und deren Vergleich mit der Pädagogik ergibt sich ein heuristisches Potential. Ich glaube, dass wir (a) aus der Analogie viel lernen können und (b) uns der Vergleich als heuristisches Mittel der Erkenntnis dienen kann. – Nicht so ganz nebenbei sei hier natürlich "eingestanden", dass ich von der Einheit der Wissenschaften ausgehe und der Auffassung bin, dass es Gesetzmäßigkeiten gibt, die für alle Wissenschaftsebenen (Physik, Chemie, Biologie, Psychologie, Soziologie) Gültigkeit haben. Gerade deshalb ist beispielsweise die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen oberer und unterer Ebene und das Lernen im Umgehen mit philosophischen Termini aus meiner Sicht so wichtig!

Re:Reflexives Praktikum, Emergenz, Supervenienz und andere Wortungeheuer

Kommentar von Vohle am 23.03.2009 08:47

Lieber Peter,

auf deinen längeren Beitrag möchte ich dir in drei Richtungen antworten: Teil a gibt Anmerkungen zu deinen Ausführungen, Teil b greift einen Aspekt heraus, der für die bisherige Diskussion wesentlich erscheint, nämlich den der Analogie als Erkenntnismittel. In Teil c möchte ich noch kurz etwas zur Verantwortung sagen.

Teil a - Anmerkungen

1) „Vielmehr ist das reflexive Praktikum durch einen interaktiven Wechsel (Oszillation) zwischen reflexiven Konversation und Design bzw. Gestaltung geprägt. 6 Aspekte sind für ein reflexives Praktikum konstituierend“ (S. 1)
=> Schritt 5: Hier bietet vielleicht die Synectic (Verfahren der Analogieanwendung) eine gute Grundlage, um diesen Schritt differenzierter auszubauen (Gordon, W.J.J. (1961). Synectics. New York: Harpers Review).

2) „Ich glaube - und das ist eine meiner wesentlichen Thesen, warum ich den Musterbegriff so interessant finde – dass dieses Oszillieren zwischen den verschiedenen Ebenen für den Erkenntnisprozess wesentlich ist.“ (S. 3)
=> Das Erkenntnis durch Differenzbildung entsteht (darauf läuft es doch bei der Oszillation hinaus?!), finde ich nicht neu. Oszillation wäre ein systematisches Verfahren, zwischen den Ebenen (epistemisch, ontologisch, anthropologisch, methodologisch) zu wechseln? „Wechsel“ ist wohl zu wenig, es ist eine Art von „g l e i c h z e i t i g e n Schielen“ auf min. zwei Ebenen, welches ein Drittes sichtbar macht? … Wie kommst du nun zu deinen zentralen ENTWURFSmustern (Muster, die das Neu und pädagogisch Wertvolle wahrscheinlich machen - Potentialitäten)? Ist „pädagogische Oszillation“ nun ein Erkentnisverfahren oder ein handlungsleitendes Designverfahren für guten Unterricht in der Situation? „oszillation in situation“ sozusagen.

3) „Ist Emergenz ein Phänomen, d.h. eine bloße Erscheinung, die nur im Auge des Betrachters entsteht, d.h. aus der Relation Beobachter-Beobachtetes hervorgeht oder hat Emergenz eine ontologische Realität?“ (S.3)
=> Ich fand und finde in diesem Zusammenhang die Ausführungen von David Bohm sehr anregend, der durch seine zahlreichen Vergleiche mir zumindest etwas das neue Denken um die Quantenphysik näher gebracht hat http://www.klawi.de/bohm.htm. (bezogen auf das von dir angesprochene Problem des Newtonischen Weltbildes)

4) „Muss mir dazu die erwähnten Passagen, die Frank erwähnt bei Gabi näher anschauen. Wo finde ich die genau?“ (S. 5)
=> Reinmann. G. (2005) Blended Learning in der Lehrerbildung, S. 135ff. (beschäftigt sich nicht mit dem ontologischen Status, sondern als Gestaltungsformel, um das scheinbare Widersprüchliche beim Design von Lernumgebungen zusammenzuführen) oder auch das schon erwähnte Buch von Lissack/Roos (2000), The next Common sence. The e-Mangers Guide to mastering Complexity. (Institut http://isce.edu/)

Teil b – Rolle der Analogie als Erkenntnisverfahren

1) „Heuristisches Potential der naturwissenschaftlichen Konzepte sind für Theoriebildung in den Bildungswissenschaften wichtig (sinngemäß)“ (S. 6)
=> Das die Analogie als Mittel der Erkenntnisgewinnung einen heuristischen Wert hat ist unbestritten! Das gilt für die Industrie (Bionik) genau so wie für die Wissenschaftstheorie (z.B. Poser) oder den transdisziplinären Dialog allgemein.
Sicherlich führt die Suche nach strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen ontisch so verschiedenen Phänomenen aus Physik, Botanik, Soziologie aber eben auch Psychologie und Pädagogik etc. zu interessanten Erkentnissen. Das hat nicht zu letzt eine hohe pragmatische Relevanz, wenn man z.B. durch diese Strukturen eingefahrene Wege innerhalb der eigenen Disziplin verlassen, Fragestellungen neu sieht oder Problemstellungen einfacher formulieren kann.
Worauf es mir ankommt: die Beschäftigung mit fremden Kontexten kann auch dazu (ver)führen, das Spezifische, den Eigensinn der B i l d u n g s-Sphäre nicht zu erkennen oder das Besondere und Konstituierende zu vernachlässigen. Z.B. spielt für Luhmann als einer der Systemvertreter das Individuum keine Rolle mehr, der Einzelne hat in den allgemeinen Strukturgesetzen keinen Platz. Genau das finde ich aber wichtig: Es geht doch in der Bildungswissenschaft um die Herausarbeitung der s t r u k t u r e l l e n D i f f e r e n z (Proprium) zwischen den Phänomenen aus Physik, Chemie etc. (intentionslos und ahistorisch) und (b) den Handlungsmustern/Systemmerkmalen, welche wir mit dem Begriff Bildung bezeichnen! Das Eigentümlich und herausfordernde ist nun, dass wir innerhalb der Bildungssphäre widerum Differenzen (Eigensinn) herausarbeiten müssen, z.B. jene zwischen einer Didaktik der Mathematik und einer Didaktik der Sprachwissenschaft.
Ich gebe zu: wenn ich das Besondere erkennen will, wird mir das Allgemeine als Abgrenzung (Hintergrund?) dienen.

Teil c - Verantwortung

Den letzten Punkt den ich ansprechen will ist schwierig, weil ich dir damit zunah trete. Wenn ich ehrlich bin, war es aber der allererste Impuls den ich gespürt habe, als ich deine Anmerkungen zur Emergenz gelesen habe. Von dir geht ja eine gewisse Trendsetter-Funktion aus. Baumgartner leads the community 🙂 oder setzt zumindest wichtige Forschungsrichtungen. Deshalb: Wenn nun mehrere (Doktoranden u.a) auf das Thema Pattern-Emergenz-Oszillation-Supervenienz einsteigen, um dadurch neuen Impluse für die e-learning Forschung (Entwurfsmuster) zu erarbeiten, mit welchen metatheoretischen Hinweisen (im Gepäck) willst du sie ausstatten?

Gruß aus WOR Frank

Re: Reflexives Praktikum etc. - Verantwortung bei Vergabe von Dissertationsthemen

Kommentar von baumgartner am 01.04.2009 23:17

Lieber Frank,

wir haben ja schon telefoniert und führen unsere Diskussion an einem anderen Ort weiter. Ich wollte aber doch noch zu einem wichtigen Punkt Stellung nehmen. Es betrifft Deinen letzten angeschnittenen Punkt: Die Verantwortung bei Vergabe von Dissertationsthemen.

1.
Wenn ich Dich richtig verstehe, dann sprichst Du das Paradoxon an, dass ich ein Dissertationsthema ("Didaktische Entwurfsmuster") vergebe, wo noch gar nicht klar ist, in wie weit dieser Ansatz über tragfähig ist. Wie soll das denn gehen? Ist der Dissertant/die Dissertantin da nicht überfordert? Welche metatheoretischen Hinweise könnten da helfen?

Ich gehe bei dieser ersten Arbeit gar nicht davon aus, dass bereits der Ansatz von Alexander für die Didaktik nutzbar gemacht werden soll. Es soll vielmehr vorerst einmal untersucht werden, ob eine Analogiebildung (von Architektur auf die Pädagogik) Sinn macht. Und vielleicht auch noch: wie könnte eine solche Analogie aussehen? (vgl. meinem Ausschreibungstext auf http://www.peter-baumgartner.at/dissertationen/geplant/didaktische-entwurfsmuster-1/)

Ich halte das für eine legitime und machbare Fragestellung. Erst wenn es hier positive Ergebnisse gibt, möchte ich dazu weitere Dissertationsthemen mit tiefer gehenden forschungsleitenden Fragestellungen vergeben. Erst dann wären aber erst auch paktische Konsequenzen für die E-Learning Community zu erwarten.

2.
Ein zweiter - aus meiner Sicht – viel schwieriger Punkt bei der Vergabe von interessanten Dissertationsthemen ist: Wie vermeide ich es, dass ich mit meinen eigenen Forschungsinteressen der Fragestellung zu nahe bin und damit dem Dissertanten/der Dissertantin keine "Luft" für eigene Forschung lasse? Einerseits möchte ich vor allem Fragestellungen betreuen, die mich selbst interessieren – andererseits muss ich dann aber selbst in dieser Hinsicht Abstinenz üben und darf den Aspirant/-innen nicht ins Handwerk pfuschen.

Besonders bei berufstätigen Doktorand/innen – die ja an sich schon länger brauchen und wo durch Veränderungen in der Familie und Beruf häufig auch ungeplante Verzögerungen eintreten - kann das manchmal kritisch werden. Im schlimmsten Fall ist dann nämlich eine brisante, hochaktuelle und wissenschaftlich interessante Fragestellung blockiert - und damit "aus dem Spiel genommen".

Außer ständig neue interessante Fragestellungen zu generieren, habe ich da bisher noch keine gute Lösung gefunden. Und ehrlich gesagt: Manchmal gehen mir dann auch die guten Ideen für Dissertationsthemen und/oder eigene Projektanträge aus.

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